„Spürt ihr die Gänsehaut?“

Leverkusen hat heute im Champions-League-Finale die dritte und letzte Chance, die Saison nichtals Komplett-Loser zu beenden. Exklusiv in der taz: Trainer Toppmöllers Rede an die Mannschaft

von ALBERT HEFELE

Glasgow, Hampden Park, heute Abend, kurz vor 20.45 Uhr. Das große Finale in der Champions League zwischen Real Madrid und Bayer Leverkusen wird gleich angepfiffen und somit die letzte Chance für die derzeit beste deutsche Fußballmannschaft, doch noch einen Titel zu erringen. Bayer-Trainer Klaus Toppmöller hält eine letzte, leidenschaftliche Rede an seine Mannschaft – und taz-Mitarbeiter Herr Hefele hat die seltene Ehre, ihr beiwohnen und sie für die Nachwelt aufschreiben zu dürfen.

„Ihr, die ihr da steht, im Schmucke dieser nigelnagelneuen rot-schwarzen Dresse mit dem Löwenwappen. Im Glanze eurer blank polierten, supergefühlsechten Kickschuhe mit den drei Streifen; auf den Pfosten eurer durchtrainierten Waden. Ihr, die ihr mich ratlos anglotzt unter den Gelhaufen hervor, die ihr Frisur nennt. Ihr, die ihr unter eurem Trikot ein zweites anhabt, auf dem sinnlose Sätze und blödsinnige Bilder darauf warten, im Falle eines Torerfolges präsentiert zu werden, einem dumpf jubelnden Publikum. Ihr alle, die ihr da Millionen auf den Konten und dicke Automobile auf dem Parkplatz stehen habt, in denen eure goldkettenbehängten Frauen gähnend auf euch warten … Hört mir genau zu. Denn: Es geht um den Rest eures Lebens.

Erstens: Ihr habt versagt! Ihr werdet bemerken, dass ich meine Stimme nicht erhebe. Nicht zu kreischendem Diskant, nicht zu weinerlichem Vorwurf. Es ist nur eine Feststellung. I c h klage nicht. I c h heule nicht an wider ein ungerechtes Schicksal. Ich sage euch nur: Wer drei Spieltage vor Saisonende fünf Punkte Vorsprung hat und dann daheim gegen Bremen und in Nürnberg verliert, soll nicht Meister sein. Sondern nur: Vizemeister! Und wer gegen Schalke zwei zu vier verliert, der darf nicht einmal den Pokal, für den sich nun wirklich keine Sau interessiert, heben, sondern muss sich von Oberschmierlappen Möller scheinheilige Glücksverheißungen zuraunen lassen. Und – senkt jetzt nicht den Blick und klappt nicht die Ohren zu: IHR SEID GANZ ALLEINE DRAN SCHULD! Denn: IHR HABT VERSAGT! Ihr habt lächerlich und fahrlässig gewuchert mit euren Pfunden! Obwohl euch das Schicksal mit seinem übervollen Füllhorn nahezu ersäuft hat! Ihr habt Berti Vogts und Christoph Daum überlebt und MICH dafür kriegen dürfen! Dankt eurem Schöpfer dafür, genauso wie für das Talent, das ihr geschenkt bekommen habt. Das Talent, dass ihr den Ball nicht prügeln müsst, sondern mit ihm, einer willigen Geliebten gleich, spielen könnt. Spielen im wahrsten Sinne des Wortes! Und dankt auch für die Chance, die ihr habt, alles noch zum Guten zu wenden!

Denn heute Abend – jetzt gleich und da draußen, ein paar Meter über euch – wartet ein rummsvolles Stadion an einem wunderbaren Frühlingsabend auf euch und eure Kunst. Ein wunderbarer schottischer Rasen. Ein Teppich, hergerichtet für die Finalisten der Champions League 2002. Die ganze Welt möchte euch sehen! Und euren Gegner, die momentan glänzendste Mannschaft der Welt, die Weißen von Real Madrid. Sprecht es mir ganz langsam nach: R e a l M a d r i d – lasst es euch auf der Zunge zergehen: R e a l M a d r i d. Spürt ihr die Gänsehaut? Seht ihr die Bilder der großen Finals? Hört ihr die Namen? Di Stefano, Puskas, Gento, Figo, Zidane, Raúl. Wisst ihr, wie es sein wird, wenn die Fans nach einem großen Finale e u r e Namen mit dem gleichen Leuchten in den Augen aussprechen werden? Wollt ihr das? Wollt ihr ihnen zeigen, dass die Löwen auf euren Trikots nicht nur zur Zierde da sind? Wollt ihr ihnen zeigen, dass IHR die beste Mannschaft der Welt seid? Wollt ihr unsterblich werden? Ihr habt zwei Stunden Zeit dazu. Vergeudet sie nicht!“