Die Bastion wackelt: Bezahl-Uni in NRW

Die wichtigste Gegnerin von Studiengebühren kapituliert: Nordrhein-Westfalens Bildungsministerin Behler schweigt zu neuen Gebührenplänen

aus Düsseldorf ISABELLE SIEMES

Auf welcher Seite steht Bildungsministerin Gabriele Behler? Das fragen sich die Studierenden in Nordrhein-Westfalen. Behlers Kabinettskollege, Finanzminister Peer Steinbrück, will von Langzeitsstudis Strafgebühren in Höhe von 650 Euro kassieren. Von der Bildungsministerin ist seitdem wenig zu hören. Kein Widerspruch, kein Einverständnis. Behler schweigt – und verwirrt die Republik.

Vor einem halben Jahr noch war die Ministerin des größten deutschen Hochschullandes alles andere als schweigsam. Als ein Bundesland nach dem anderen so genannte Langzeitgebühren erhob, stellte sich Behler den Gebührenfans eindrucksvoll in den Weg: „In meinem Land wird es keine Studiengebühren für das Erststudium geben“, sagte sie. Und kündigte zusammen mit dem rheinland-pfälzischen Wissenschaftsminister Jürgen Zöllner (SPD) für 2004 ein Modell an, das eine Alternative zu den simplen und oft ungerechten Strafgebühren darstellt.

Statt auf Strafen wollten Behler und Zöllner auf Anreize setzen. Ihre Studienkonten bestrafen Studierende nicht am Ende des Studiums mit Gebühren, sondern belohnen sie auf dem Weg dorthin mit Gutscheinen und Bonuspunkten – für zügiges Studieren.

Nun macht das eigene rot-grüne Kabinett der Bildungsministerin in Düsseldorf das Leben schwer. Die Landesregierung setzte das Gebührenmodell des Finanzministers für die Haushaltsberatungen 2003 aufs Programm: 50 Euro pro Semester soll jeder Studi als Einschreibegebühr berappen. Wer zu lange an der Uni bleibt, muss bis zu 650 Euro aufbringen. Wenn Behler das Steinbrück-Modell durchgehen lässt, wären ihre Studienkonten am Ende, noch ehe sie eingeführt sind.

„Das Studienkonten-Modell ist nicht vom Tisch“, sagt indessen Ralph Fleischhauer. Der Sprecher Behlers muss zu ungewöhnlichen Argumenten greifen – zu fiskalischen. Es gehe akut darum, einen Fehlbetrag von 1,4 Milliarden Euro im Landeshaushalt auszugleichen. Danach, so Fleischhauer, sei eine Rückkehr zum Modell der Studienkonten möglich.

Das Pech der Bildungsministerin ist, dass NRW-Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) hinter der Geldakquise seines Finanzministers steht. Bereits Ende April hatte Clement bei einem „Zukunftskongress“ in Bonn die „flächendeckende Einführung von Einschreibegebühren“ angekündigt. Die Gebühren sind nicht etwa ein neues Steuerungsmodell – sie dienen dazu, die Landeskasse zu konsolidieren. 500.000 Studiosi gibt es in NRW, das sind ein Drittel der Studierenden Deutschlands, und die bringen jährlich 50 Millionen Euro Bares. Den Tribut der länger Studierenden hinzugenommen dürften mehr als 110 Millionen Euro zusammenkommen.

Die Studis zahlen – ins NRW-Haushaltsloch

Schon ab Sommersemester 2003 sollen NRWs Studierende eine Einschreibegebühr von 50 Euro zahlen. Wer die Regelstudienzeit über vier Semester plus einem Prüfungssemester überschreitet, muss bis zu 650 Euro hinlegen – eine „Strafe“, die bisher nur Baden-Württemberg kennt. Auch für ein Zweitstudium oder ein Seniorenstudium sollen die 650 Euro fällig werden.

In den Hochschulen ist man empört über die Geldmacherei des Finanzministers. „Ich bin für Gebühren – aber das Geld muss den Unis zugute kommen“, ärgert sich Deutschlands dienstältester Rektor Gert Kaiser. Die gewonnenen Finanzmittel seien dringend nötig, um die Unterfinanzierung der Hochschulen auszugleichen. Der Rektor der Düsseldorfer Uni will von der Landesregierung daher eine vertragliche Zusage, dass spätestens nach zwei Jahren das Geld direkt in die Unikassen fließt. Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) wendet sich gegen die Sanierung des Staatshaushaltes auf Kosten der Studenten. HRK-Präsident Klaus Landfried warf dem Land vor, unerlaubte Nebensteuern einzuziehen.

Vollends entnervt sind die Studierenden. Der „freie zusammenschluss der studierendenschaften“ (fzs) merkt, dass nun das wichtigste Anti-Gebühren-Land von der Fahne geht. Also verurteilte der fzs „aufs Schärfste“ die Einführung von Uni-Gebühren in NRW – leider hatten die Studis in der gleichen Tonlage bereits die Studienkonten von Behler und Zöllner abgelehnt. Die Studis an Rhein und Ruhr rüsten zum Kampf – sie mobilisieren für eine Demonstration am 9. Juni in Düsseldorf. Und die PDS im Bundestag behielt sich vor, auf das eigentliche Problem hinzuweisen: Durch den Vorstoß aus NRW ist die Gebührenfreiheit bundesweit in Gefahr.