Effizienz killt Individuum

Figuren in stetiger Rotation: Roman- und Dramenautor John von Düffel seziert in seinem neuen Stück „Elite I.1“ am Thalia in der Gaußstraße den ins Bewusstsein sich einfräsenden Leistungswahn

von ANNETTE STIEKELE

Sie lassen ihn nicht los. Die karrieregeplagten Neuzeitmenschen, immer auf der Suche nach Bestätigung von außen und perfekt selbstprogrammiert zum Sprung auf die nächste Stufe der Erfolgsleiter. In seinem Roman Ego hat John von Düffel seine Hauptfigur, Unternehmensberater Philipp, noch jeden Morgen die Tiefe seines Nabels nachmessen lassen und den Fitnesswahn des Karrieristen seziert.

Doch das Thema schien ihm damit nicht erschöpfend behandelt. Und so legt er jetzt mit dem Theaterstück Elite I.1 nach. Am Freitag ist Uraufführung im Thalia in der Gaußstraße, Regie führt Mark Zurmühle. Von Düffel selbst kann über die Nöte seiner Figuren nur müde lächeln, denn er wirkt angesichts seines ganz und gar undurchschnittlichen Werdegangs unglaublich entspannt. Als hätte er ganz nebenbei seinen Doktor der Philosophie erworben und wäre zufällig dann auch noch Buchautor, Dramatiker und Dramaturg am Thalia Theater geworden.

Auch seine Texte legen bisweilen ein unglaubliches Tempo hin. Elite I.1 führt das neurotische Gebaren weiterer Prototypen kapitalistischer Verunsicherung vor. Man könnte auch sagen, sechs Egos suchen ein Ich. „Alle Figuren werden von einer Rotation erfasst und wähnen sich im Mittelpunkt der Welt. Diese Haltung wird immer mehr zum Lebensmodell“, erzählt John von Düffel. „Das Effizienzdenken geistert mittlerweile durch alle Köpfe.“

Das Stück ist als „Stream of Consciousness“ der Figuren, die sich kaum begegnen, konzipiert. Das sei durchaus nicht ganz leicht über die Bühne zu transportieren, räumt der Autor ein. Moderatorin Sybille sinkt vor lauter Wellness-Tees fast in Ohnmacht und sinniert, wie sie ihrem Gatten zu einer ansehnlichen Geliebten verhelfen kann. Dieser, ein Schönheitschirurg namens Hendrik, zählt beim ehelichen Frühstück die an seiner Frau vollzogenen „Korrekturen“. Der nikotinabhängige Fernsehredakteur Thomas raucht vor lauter Selbstverachtung noch mehr. Seine junge Kollegin Angelika plant derweil schon den nächsten Schachzug auf dem Weg auf den Redakteurssessel. Die kopfschmerzgeplagte Unternehmensberaterin Isabell wiederum verzweifelt an Terminstau und Zeitmangel. Ex-Sportler Benjamin kämpft mit seinen geschundenen Knochen und seiner Flugangst. Benjamin scheitert durch Übererfüllung. Denn er hat alles hinter sich, war erfolgreicher Anwalt und Sportler. Von Düffel: „Erfolg ist nur eine verkleidete Form von Zerstörung. Im Grunde ist jeder Karrierist ein Amokläufer, nur dass er den Erfolg zum Ziel hat.“ Von Düffel findet bei beiden die gleichen Denkstrukturen, den gleichen Fanatismus, mit dem geplant und das soziale Umfeld geopfert wird. „Diese gespielte Sozialität eines Soziopathen ist typisch. Teamgeist ist nur gespielt, es wird nicht mehr sozial gehandelt.“ Die einzige Querverbindung der Figuren besteht in ihrem Erfolgsprogramm. Während der Recherche zum Stück hat der Autor bei Beratungsfirmen nachgefragt. Man suche leistungsbewusste und unsichere Leute, denn nur die seien bereit, über ihre Grenzen hinauszugehen und sich unter Umständen zu schaden. Dazu von Düffel: „Der Ich-Hunger ist entscheidend, das Verlangen, etwas zu bedeuten, souverän zu sein. Das sind alles Leute, die sich noch nicht haben. Die Ich-Jagd ist auch der Motor aller meiner Figuren.“

Als Ausweg fällt ihm nur das Spiel ein. Sich auszuprobieren und zu schauen, was einem am meisten entspricht. Andernfalls kommt es wie bei seinen Figuren zum Widerstand in Form von Sabotage, zum Beispiel durch Krankheit. „Ein kollektiver überindividueller Widerstand ist heute schwer zu formulieren. Jeder formuliert seinen eigenen“, so von Düffel. Viele solistische Egotrips hat er beobachtet, reichlich Anschauungsmaterial gesichtet. Erkenntnis: „Die Erfolgsprogramme machen die Menschen immer gleicher. Selbstverwirklichung und Erfolg führt zu Auflösung von Individualität.“

Ist das Thema „Ich-Jagd“ damit abgeschlossen? „Die Fortsetzung müsste heißen Abschaum 0.0. Da müsste die Gegenbewegung einsetzen. Ich habe das Thema an einen Punkt getrieben, wo man das Ego-Karussell nicht noch schneller drehen kann“, sagt von Düffel und prophezeit eine „Abstoßung des Themas“. Allerdings erst nach der Premiere.

Premiere Freitag, 17. Mai, 20 Uhr, Thalia Gaußstraße 190