Stimmen aus den Gräbern rufen Wähler an die Urnen

Bei den heute stattfindenden Parlamentswahlen in der Dominikanischen Republik geben die toten Partei-Caudillos den Ton an

SANTO DOMINGO taz ■ Die Stimme im Radio war unverkennbar. Pathetisch forderte der legendäre sozialdemokratische Parteivorsitzende Francisco Peña Gómez in den letzten Tagen die rund 4,6 Millionen Wähler in der Dominikanischen Republik auf, am heutigen Donnerstag seine Partido Revolutionario Dominicano (PRD) zu wählen. „Vota blanco“ hallte täglich die Stimme von Peña Gómez aus den Lautsprecherboxen. Dabei ist Peña seit vier Jahren tot. Sechs Tage vor den damaligen Senats- und Abgeordnetenwahlen starb er. Seine „Blancos“ gewannen. Der Aufruf des toten Peña Gómez soll jetzt die politischen Erben vor dem Dilemma bewahren, in den beiden Kammern des Kongresses die Mehrheit zu verlieren.

Zwar hat der vor zwei Jahren gewählte Staats- und Regierungschef Hipólito Mejía im Vorfeld des Wahlkampfes, sehr zum Unmut der im Kongress vertretenen oppositionellen exlinken Befreiungspartei und der konservativen Christsozialen Reformpartei, neu asphaltierte Straßen, Krankenstationen und Neubausiedlungen ihrer Bestimmung übergeben, seinem „politischen Projekt“, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, die Staatsverschuldung zu senken und die Korruption zu bekämpfen, ist der 61-jährige Agronom jedoch kaum näher gekommen.

Auch die weltweite Wirtschaftskrise hat dem Präsidenten einen Strich durch die Rechnung gemacht. Die Touristenzahlen sinken. Vor allem deutsche Sonnenhungrige haben den dominikanischen All-inclusive-Beach-Resorts den Rücken gekehrt. Das Wirtschaftswachstum, einst das höchste in Lateinamerika, hat sich nach Angaben der Zentralbank auf 2,7 Prozent fast gedrittelt. Der angekündigte „schlanke Staat“ hat sich mit neu geschaffenen Posten für verdiente Parteimitglieder aufgebläht, die zwar auf den Gehaltslisten, jedoch nicht in den Behörden auftauchen.

Wer vor zwei Jahren Behördengänge binnen Stundenfrist erledigen konnte, braucht wieder Geduld, Beziehungen und vor allem Bargeld, um die bürokratische Maschinerie zu ölen. Viele Dominikaner, die einst den hemdsärmeligen und sich populistisch gebenden Staatschef gewählt haben, machen ihn für ihre sich nicht verbessernde Lebenssituation verantwortlich. So könnte die Wahl für den Senat und das Abgeordnetenhaus auch zu einer Stimmungswahl über den Präsidenten werden. Nicht unerheblich ist auch die Frage, wie viele Stimmberechtigte den Urnen fern bleiben werden. Vor vier Jahren blieben 46 Prozent der Wähler lieber zu Hause.

In Ermangelung von handfesten politischen Aussagen haben neben der PRD fast alle Parteien das Abbild ihrer verstorbenen Parteigründer mobilisiert. Die neoliberale Befreiungspartei (PLD), zweitstärkste Kraft des Landes, beruft sich auf riesigen Plakatwänden auf ihren vor einem halben Jahr beerdigten Parteigründer, den Expräsidenten und Schriftsteller Juan Bosch. Die „Revolutionären Kräfte“, eine Allianz aus Exkommunisten und linken Alternativen, werben mit dem revolutionären Oberst Francisco Caamaño, dessen Versuch, die verfassungsmäßige Regierung von Juan Bosch wieder an die Macht zu bringen, im April 1965 zur US-amerikanischen Invasion der Karibikrepublik führte.

Lediglich die konservativen „Reformisten“ können einen altgedienten, noch lebenden Politiker für sich reklamieren, der zudem entscheidenden Einfluss auf die politischen Geschicke des Landes hat, in dem etwa 8,5 Millionen Menschen leben. Zwar ist der „alte Fuchs“ seit Jahren vollständig erblindet und inzwischen bettlägerig. Trotzdem beeinflusst der frühere Weggefährte des dominikanischen Diktators Rafael Trujillo und langjährige Staatschef nach wie vor das politische Geschehen. Auch Staatschef Hipólito Mejía spricht regelmäßig in der Residenz Balaguers vor, um sich Rat zu holen. Schon ulkt der bekannte Kolumnist Emilio Lapayesse angesichts des inhaltsleeren Wahlkampfs, die Kandidaten unterschieden sich lediglich dadurch, wie oft sie Balaguer besuchen.

HANS-ULRICH DILLMANN