Napster zeigt: Tausch ist kein Handel

Bertelsmanns Napster-Chef Hilbers ist wegen Erfolglosigkeit zurückgetreten. Experten erwarten Insolvenzantrag „in den kommenden Wochen“. Damit wird offenbar: Tausch-Software lässt sich nicht in ein kommerzielles Konzept pressen

von ROLAND HOFWILER

Die einst von bis zu 80 Millionen Musikfreaks genutzte kostenfreie Internet-Tauschbörse Napster steht vor dem Kollaps. Zehn Monate nach seiner Ernennung zum Chef des Online-Konzerns trat der ehemalige Bertelsmann-Manager Konrad Hilbers am Dienstag zurück. Offiziell hieß es gestern aus der Firmenzentrale im kalifornischen Redwood City, trotz intensiver Bemühungen sei es nicht gelungen, genügend Investoren für den Neustart als kommerzielle Tauschbörse zu gewinnen. Medienriese Bertelsmann habe es nicht geschafft, die Voraussetzungen für eine profitable Handelsstrategie von Musik im Internet aufzubauen.

Zu den Turbulenzen bei ihrer Musiktochter BMG-Napster war gestern aus der Bertelsmann-Zentrale in Gütersloh nichts zu erfahren. Aus gutem Grund hält sich das Management bedeckt und lässt sich vorerst nicht in die Karten schauen. Das Jammern der Plattenbosse und Verleger darüber, wie sehr Internet-Tauschbörsen ihrem Geschäft zusetzen, ist nichts Neues. Emi, Sony, Bertelsmann, TimeWarner und Polygram-Universal – nach einer von den weltweit fünf größten Musikkonzernen in Auftrag gegebenen Studie wurden im vorigen Jahr in Deutschland mit 190 Millionen Scheiben erstmals mehr Musik-CDs am häuslichen Computer gebrannt als im Laden verkauft. Doch zu einer gemeinsamen Strategie gegen die „Napsterei“ konnten sich die Großen fünf, die zusammen mehr als 80 Prozent des globalen Musikmarktes beherrschen, bislang nicht durchringen – zum Glück der Musikliebhaber.

Begonnen hatte der Streit im Frühjahr 1999, als auch in Deutschland immer mehr Internet-Nutzer auf die Napster-Technologie aufmerksam wurden und untereinander ihre Lieblingssongs austauschten. Zeitweilig lagen auf dem zentraleuropäischen Server bis zu einer Million Titel zum freien Runterladen bereit, auf amerikanischen Einwahlknoten war der Soundreichtum noch größer. Es dauerte Monate, bis Plattenlabels und Bandmanager überhaupt begriffen, welche radikale Umwälzung im Internet durch die Erfindung der MP3-Technologie vereint mit Napster-Software im Gange war. Als der Aufschrei kam, war es zu spät: Während die Musikkonzerne gegen Napster vor Gericht zogen und die zeitweilige Abschaltung des Zentralservers erzwangen, schossen neue Tauschbörsen aus der digitalen Welt wie Pilze aus der Erde.

Doch Bertelsmann glaubte noch immer an die Vermarktungsmöglichkeiten von Napster, kaufte Software und Kundendatei und begann mit einem „neuartigen Online-Bezahlservice für Copyright-geschützte Musik“. Fatal an dieser Strategie war vor allem, dass fortan die anderen vier Weltmusikkonzerne mit immer neuen Copyright-Forderungen gegen die Bertelsmann-Tochter BMG-Napster vorgingen, den Start des Pay-Paketes so verzögerten. Nun glaubt anscheinend niemand mehr daran, mit Internet-Musikhandel Geschäfte machen zu können. Insider behaupten, in den kommenden Wochen werde BMG-Napster einen Insolvenzantrag erwägen.

Dann wäre Napster nur noch Legende, während seine Erben quicklebendig das Netz beherrschen: In den vergangenen Monaten haben neue Tauschbörsen wie Morpheus (www.musiccity.com), Kazaa (www.kazaa.com), Audiogalaxy (www.audiogalaxy.com) und einige Dutzend mehr einen Besucheransturm auf ihren Homepages, der die Napster-Euphorie von einst längst in den Schatten stellt. Nach einer Erhebung des Marktforschungsunternehmens Jupiter MMXI schieben monatlich etwa 10,8 Millionen Europäer ihre Soundsammlungen im Netz hin und her. Und die Deutschen entpuppen sich als eifrige Kollektionäre. In den ersten Monaten dieses Jahres wurden nach MMXI-Angaben allein über die Morpheus-Webseite monatlich über 2 Millionen Musikstücke getauscht. Weltweit sind es mehr als 3,5 Milliarden Titel monatlich. Auf die kostenpflichtige Napster-Seite greifen dagegen nur noch weniger als ein Prozent der Musikfreaks zu.