Fladenbrot und Spiele

Eine Wichskathedrale, ach was – ein Wichsodrom! Das Private Center Berlin nebst anderen leckeren Fleischbuden

von ULI HANNEMANN

In der Kantstraße hat ein neuer Laden aufgemacht. „Private Center Berlin“ steht in großen Buchstaben über dem Eingang, doch die Auslage mit den beleuchteten überlebensgroßen Nacktfotos junger Damen will so gar keine rechte Privatheit aufkommen lassen. Einem der Modelle hat man, wohl um die von Mitarbeitern des Bauressorts im Bezirksamt Charlottenburg regelmäßig überprüfte Einhaltung der Schlitz-Einsichtsnormen gemäß FÜWAG/SAU zu gewährleisten, ein paar Pakete mitten vor die weit gespreizten Beine gestellt. War nicht auch ein Lothar Matthäus im Zivilberuf Schaufensterdekorateur? Und gibt es eigentlich Männer mit „Paketfahrerinnen-Fantasien“?

„Es gibt alles“, wollen uns Schriftzüge im Schaufenster suggerieren, „bei uns gibt es alles: Audio, Video …“ … Aber fehlt da nicht noch was – war da nicht auch noch irgendwas mit anfassen, „Feelio“ oder so? Hier wohl nicht, obwohl der Laden unheimlich groß ist: Er erstreckt sich fast über den halben Block; ein wahrer Wichstempel, eine Wichskathedrale, ach was – ein Wichsodrom!

Neben den Riesenbildern gibt es noch eine weitere, diesmal vertikal angeordnete, Reihe kleinerer Leuchttafeln auf der Seite zum angrenzenden Imbiss hin. Ein Grüppchen Männer hat sich davor geschart und starrt gebannt auf die Porträts. Ein paar von ihnen haben ihren Speichelfluss so wenig im Griff, dass sich auf dem Trottoir zu ihren Füßen bereits kleine Pfützen gebildet haben. Ein unwürdiges Schauspiel, in dem sich der Mann zur Motte degradiert, die es willenlos in die verzehrende Lichtquelle zieht. „Manchmal könnte ich mich fast für die Leute schämen“, denke ich und wringe unauffällig mein vollgesabbertes T-Shirt aus.

Die Posen sind allerdings wirklich extrem, zum Beispiel die eine in der Mitte: Nahtlos gebräunte Haut und ebenmäßige, obszön gespreizte Beine. Diesmal sogar völlig ungeschützt durch Pakete, Briefe oder wenigstens Postkarten, werden gynäkologische Details in fast sachlicher, an ein Naturkundemuseum erinnernder Manier ausgestellt, räkelt sich die Schönheit eher gelangweilt als aufreizend rücklings auf dem Präsentier… nein, was ist das? … dem Pappteller!

Über dem Brathuhn lockt das Foto eines splitterfasernackten Böreks und darunter ein unbekleideter gemischter Salat mit Schafskäse, offenbar eine Wichsvorlage für Vegetarier: „Mach mich an“, suggeriert das willfährige Grünzeug dem flanierenden Voyeur, „nimm mich!“. Daneben eine Preisliste – unzweideutig, beschämend und jederzeit auch für Kinder frei einsehbar. Was sollen die sich bloß auf dem Schulweg denken, wie soll denn ich als Mutter das dem Kinde noch erklären: „ ‚Ohne Darm‘ – ein Euro zwanzig, ‚mit‘ ein Euro dreißig“ – und seit wann ist denn überhaupt ‚mit‘ teurer als ‚ohne‘? „Mit Ketchup oder Majo“ – hieß das nicht früher „Kaviar oder Natursekt“?

Wahrscheinlich immer noch, aber die Getränkekarte kann ich von hier aus nicht erkennen. Soll ich bestimmt auch nicht – man kennt ja diese Etablissements, in denen unleserliche Preislisten, mit der kyrillischen Schrift zur Platte hin, unter den Tisch genagelt werden.

Wie eine Stripperin an der Stange dreht sich langsam und anzüglich ein Döner-Spieß und sondert zischend Tropfen für Tropfen streng riechende Flüssigkeit ab. Langsam aber sicher haben sie mich weich gekocht, diese Hehler der Discounttriebbefriedigung: Ich schlage den Kragen hoch, drehe mich noch einmal kurz um, um sicherzugehen, dass mich auch keiner beobachtet, und husche hinein. Müde Gesichter an weißen Stehtischchen – das Private Center Berlin: Von innen übrigens deutlich kleiner, als man denkt.