: Auf dem Billigmarkt
Die Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig zeigt Arbeiten der österreichischen Malerin Johanna Kandl, die ihre Recherchen zu Migration und Ökonomie in bunt leuchtende Bilderwelten überträgt
von HARALD FRICKE
Überall in Leipzig trifft man noch auf Kunst im öffentlichen Raum, die lange vor der Wiedervereinigung als mächtiges Zeichen für die Entschlossenheit des Sozialismus entstanden ist. Meterhohe Reliefs mit dem Konterfei von Karl Marx, Standbilder mit mutigen Werktätigen, und dann plötzlich: vier abstrakte weiße Säulen von Frank Ruddigkeit, die sich an der Spitze im Winkel von 90 Grad zu einer Blüte wölben. Vielleicht liegt es am eleganten Messedesign, dass sich die Skulptur gut als Werbefläche macht. Jedenfalls hat die Citibank dort vier Banner anbringen lassen, auf denen das Unternehmen seine Solidarität mit den USA nach dem 11. September erklärt. Besser kann man den Wandel im Osten, der Kunst, Ökonomie und Ideologie durcheinander gewürfelt hat, kaum in einem Bild fassen.
Die absurde Umwidmung könnte auch Teil der Öffentlichkeit sein, die die Wiener Künstlerin Johanna Kandl untersucht. Auf einem ihrer Gemälde, das in der Leipziger Galerie für zeitgenössische Kunst ausgestellt ist, findet man eine sozialistische Wandmalerei in Dresden, über die ein großformatiges Reklameplakat für Magnum-Eis gehängt wurde. Kandls Arbeit ist wiederum in einem realistischen Stil gehalten, der durchaus ironisch mit der früheren Auftragskunst sympathisiert. Denn nur die Wirklichkeit ist Basis aller künstlerischen Produktion: Ihre gut drei dutzend Gemälde verdichten sich zu einer Art Spurensuche im Alltag nach dem Zusammenbruch des Ostblocks.
Gleich im ersten Ausstellungsraum stößt man auf eine bildgewordene Recherche aus dem Jahr 1994. Damals war Kandl in der südlich von Berlin gelegenen Garnisonsstadt Wünsdorf beim Abzug der russischen Armee zu Besuch. Schnell fanden sich Parallelen zwischen der Geschichte des Sowjet-Stützpunkts und ihrer eigenen Biografie: 1954 geboren, wuchs Kandl in einem Wiener Bezirk auf, der bis 1955 unter sowjetischer Kommandatur stand. In ihrer Kindheit war stets dunkel von „den Russen“ die Rede, obwohl die Besatzer längst Österreich verlassen hatten. Aus dem Wünsdorf-Projekt wurde bei Kandl eine umfangreiche Dokumentation zum Leben der Soldaten, die sich in der Fremde mit den Deutschen arrangieren mussten, bis hin zu ihrer Wiederansiedlung am Stadtrand von Moskau. Die Künstlerin reiste ihnen nach und machte Schnappschüsse, die am Ende das Material für die bunt leuchtende Malerei bildeten: Männer auf dem Dach einer Baracke, dazu einige Beck’s-Sonnenschirme und als Schrift im Bild ein kommentierender Text – „if there is a choice between chaos and dictatorship, nowadays you choose chaos“.
Der Satz könnte gut aus einer Fernsehreportage oder einem Essay von Gabriele Goettle stammen. Tatsächlich geht es Kandl mit den immer wiederkehrenden Text/Bild-Kombinationen um eine Annäherung an die Lebenswelt durch dichte Beschreibungen. Während die Sätze sich an Politdiskursen über Globalisierung, Ökonomie und Migration orientieren, bleiben die gemalten Situationen, auf die sich die Kommentare beziehen, in einer allgemeinen Typologie verhaftet. Kandl malt nicht mit Blick auf die exakten Details, sie versucht vielmehr, eine spezifische Stimmung festzuhalten.
Das Sichtbare ähnelt einer Bühne, auf der die Akteure sprechen könnten, was auf den Bildern steht. Nach diesem Bauprinzip, dieser bildimmanenten Zuspitzung von Aussagen, funktionieren die Wünsdorf-Studien, aber auch Arbeiten zu kopftuchtragenden Frauen, die sich am 1. Mai 2001 auf dem Wiener Prater amüsieren, oder die gemalten Billigmärkte an der tschechisch-österreichischen Grenze. Mal schließt Kandl das Porträt einer Marktfrau in Tiflis mit dem Slogan „Jede Frau hat das Zeug zur Millionärin!“ kurz, mal werden winkende Asiaten mit dem Statement „Ungleichheit kann gewaltige Energien freisetzen!“ konfrontiert. Es sind bewusst Lern- und Merksätze zur Einübung in eine neoliberal durchgestaltete Realität, die sich mit der Bildebene nahezu dialektisch vereinen.
Gleichwohl ist Kandl nicht an einer Pädagogisierung der Gegenwart interessiert, bei der das Dargestellte nur Illustration der sozialen und politischen Belange meint. Dagegen spricht ihre Herangehensweise: Meist findet sie die Motive zufällig, indem sie Menschen auf der Straße anspricht und kennen lernt. Private Kontakte waren auch Grundlage für eine Gemeinschaftsarbeit mit ihrem Mann Helmut Kandl. Die beiden haben erst im Bekanntenkreis und danach im tschechischen Grenzgebiet Leute gebeten, ihnen Urlaubsfotos zu schicken. Die gesammelten Fotografien wurden für eine Video-Installation als Standbilder montiert, die nun gut eine Viertelstunde über den Globus zappen. Von Bild zu Bild weitet sich die Weltsicht aus der Touristenperspektive: In den 70er-Jahren führen die Reisen noch in die Nachbarländer, nach Italien oder an die Côte d’Azur oder eben nach Ungarn und ans Schwarze Meer; seit 1990 sind die USA, Japan und Südamerika das Ziel.
Allein die Auswahl und Kombination fügen sich zu einer Bildstrecke, in der Ost und West in ihrem Wunsch nach Exotik und fernen Ländern einander mehr und mehr gleichen. Für Kandl ist es dieses gezielte „Woanders-Hineinschauen“, aus dem künstlerische Produktion entsteht. Die merkwürdige Begegnung mit Kunst im öffentlichen Raum, wie sie derzeit in Leipzig stattfindet, passt da gut ins Bild.
Bis 16. 6., Galerie für zeitgenössische Kunst, Leipzig
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