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Wut über den Londoner Verrat

Derzeit verhandeln die Regierungschefs von Großbritannien und Spanien über die Zukunft Gibraltars. Die Bewohner der letzten Kolonie Europas fühlen sich übergangen. Die meisten sind für einen Verbleib bei Großbritannien

GIBRALTAR taz ■ Es klingt trotzig bis aufmüpfig, wenn Eric Rowbottom in bestem Spanisch bekräftigt: „Ich bin Brite, ich möchte kein Spanier sein.“ Dann nimmt er einen tiefen Schluck aus seiner „Pint of Lager Beer“. Wie fast jeden Abend sitzt der 38-jährige Gitarrist der Rockgruppe Adelante mit seinen Freunden auf den Kasematten, dem Hauptplatz der britischen Kronkolonie Gibraltar. Die Kneipen hier belegen eine alte Kaserne, die einst den Zugang von Spanien zur Felsenhalbinsel versperrte. Auf Spanisch, durchsetzt mit englischen Ausdrücken, debattieren Eric und seine Clique immer wieder das gleiche Thema: „London hat uns verraten.“

Seit 1713 gehört Gibraltar durch das Abkommen von Utrecht zu Großbritannien. London sicherte sich die strategisch wichtige Landzunge an der Meerenge, die Atlantik und Mittelmeer verbindet, nach einem Krieg. Seit dem Frühjahr haben der britische Außenminister Jack Straw und sein spanischer Kollege Josep Piqué mehrmals über die Zukunft der sechs Quadratkilometer großen Landzunge am südlichsten Zipfel der Iberischen Halbinsel verhandelt. „Kosouveränität“ heißt die Formel, mit der die britische Kolonie nach fast 300 Jahren zumindest auf dem Papier wieder teilweise unter spanische Hoheit fallen soll. Im Laufe des Sommers soll ein Abkommen geschlossen werden. Doch seit kurzem stellt sich das britische Verteidigungsministerium quer: Es will sich den Militärhafen sichern. Spanien will auch hier einen Fuß in die Tür bekommen.

Am Pfingstmontag trafen sich erstmals die Regierungschefs Tony Blair und José María Aznar, um über die Frage zu beraten. „Die verhandeln über unsere Zukunft, ohne uns auch nur zu fragen“, empört sich Rowbottom. Dass London das immer wieder versprochene Referendum doch noch durchführen wird, glaubt er nicht. Auf Gibraltar, von seiner Bevölkerung „The Rock“ genannt, denken fast alle so. 25.000 der 28.000 EinwohnerInnen demonstrierten Mitte März gegen die Verhandlungen mit Madrid. „Wenn uns jemand zusammengeschweißt hat, dann war es Franco“, sagt Rowbottom.

Jahrzehntelang lagen Welten zwischen Gibraltar und Spanien. Auf der einen Seite herrschte das britische System mit seinen persönlichen Freiheiten. Auf der anderen Seite der Diktator Francisco Franco, der jede oppositionelle Regung bereits im Keim erstickte. 1969 schloss Franco die Grenze, um Druck auf London auszuüben. Erst 1983, acht Jahre nach Francos Tod, wurde der Metallzaun zum Felsen wieder durchlässig.

Vor allem die Alten hängen an ihrem „Felsen“

„Ich verbrachte meine gesamte Jugend eingesperrt in Gibraltar“, erinnert sich Rowbottom. Ein Besuch bei Verwandten jenseits des Grenzzauns war nur über den Umweg über Marokko möglich, zehn Stunden Boots- und Busreise. Neugeborene wurden an der Grenze hochgehoben, Geburtstagsglückwünsche über das Niemandsland gebrüllt.

Wenn die Alten in der Kronkolonie von ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl reden, kommt die Rede auf den Zweiten Weltkrieg. „Die gesamte Zivilbevölkerung wurde nach London und Jamaika evakuiert“, erinnert sich Emilio Peire, Vorsitzender des Vereins der Armeeveteranen in Gibraltar. The Rock mit Militärhafen und Flugplatz diente als Stützpunkt für den Krieg gegen die deutschen Truppen in Nordafrika. Die evakuierte Bevölkerung musste sich nach dem Krieg heftig für ihre Rückkehr nach Gibraltar einsetzen. „Da merkten wir zum ersten Mal, wie sehr wir an unserem Felsen hängen“, erzählt der 70-jährige Peire.

Dennoch lässt Peire auf Britannien nichts kommen. Er hat mit den Alliierten gegen die Truppen Hitlers gekämpft und sieht sich in der langen militärischen Tradition Gibraltars. Der 426 Meter hohe Felsen ist eine natürliche Festung, über Jahrhunderte gewachsen. Die unterirdischen Lebensmittellager, Hospitäler und Gänge für die Truppen sind längst zur Touristenattraktion geworden. Ebenso die alten gusseisernen Kanonen, die bis heute gegen Spanien gerichtet sind. Neben jeder von ihnen kündet eine Tafel von Schlachten und Scharmützeln.

Seit Grossbritannien mit Spanien verhandelt, ist in Gibraltar viel vom „way of life“ und von „identity“ die Rede. „Toleranz und Respekt gegenüber den Mitmenschen spielen dabei eine große Rolle“, sagt Kim Karnani Santos, Vorsitzende der Gibraltar Women’s Association. Die Bevölkerung ist bunt gemischt, Katholiken, Protestanten, Muslime, Juden und Hindus haben ihre Gotteshäuser. Zum gibraltesischen „way of life“ gehört für Frau Karnani, Inhaberin einer Kosmetikahandlung, der relative Wohlstand, der täglich 5.000 spanische Grenzgänger anzieht. Die meisten Einwohner sind überzeugt, dass ihr kleines Steuerparadies dank des Tourismus wirtschaftlich allein zurechtkäme.

Der Frauenverband hat die Demonstrationen gegen die britisch-spanischen Gibraltargespräche mitorganisiert. „Die Mutter verrät ihre Kinder“, warf Verbandspräsidentin Karnani vor wenigen Tagen Tony Blair in einem Brief vor. Karnani schildert die alltäglichen Schikanen an der Grenze. Durch Dienst nach Vorschrift verursachten spanische Grenzbeamte stundenlange Wartezeiten. Es kommt vor, dass die Spanier die gibraltesischen Ausweise nicht anerkennen oder die Polizei ein Auto beschlagnahmt, weil sie den Führerschein nicht akzeptiert.

Die Spanier argumentieren, Gibraltar habe kein Recht, eigene Dokumente auszustellen, denn El Peñon, wie sie den Felsen nennen, sei kein Staat, sondern eine Kolonie. Solche Vorfälle bestärken viele Gibraltesen in ihrer Ablehnung Spaniens. Karnani kann über das spanische Verhalten nur den Kopf schütteln: „Wie kann man jemanden schlecht behandeln, den man heiraten möchte?“ REINER WANDLER

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