Vertrieben, nicht vergessen

Sitzverbot im Hörsaal, Relegation ohne Begründung. Schon 1933 kam der NS-Terror an die Berliner Universitäten. Den verfolgten jüdischen und kommunistischen Studenten widmet sich nun eine kleine Ausstellung im Foyer der Humboldt-Uni

von JAN ROSENKRANZ

„Aufgrund der Durchführungsbestimmung zum Gesetz gegen die Überfüllung der Hochschulen ist Ihr Weiterstudieren an unserer Universität nicht mehr möglich. Der Rektor“, heißt es in dem Schreiben lapidar, das zahlreiche jüdische und kommunistische Studenten im Sommersemester 1933 in ihren Briefkästen fanden. Damit begann rein formal-juristisch die Vertreibung von über 2.000 Studentinnen und Studenten von der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität (heute Humboldt-Universität). Ihnen ist nun die Ausstellung „Kommilitonen von 1933 – Die Vertreibung von Studierenden an der Berliner Universität“ gewidmet, die ein Projektseminar am Institut für Geschichtswissenschaften erarbeitet hat und gestern Abend im Foyer des Hauptgebäudes eröffnet wurde.

Nach langen Recherchen gelang es 50 ehemalige Kommilitonen, die die Nazi-Zeit meist im Exil überlebten, ausfindig zu machen. Knapp zwei Dutzend – heute zwischen 85 und 95 Jahre alt – folgten im vergangenen Herbst einer Einladung der Humboldt-Universität zu einer Art symbolischen Wiedergutmachung. Ihre Biografien bilden nun die Basis der Ausstellung.

Auf vierzig Tafeln wird nicht nur die politische Entwicklung an der Hochschule – vom akademischen Antisemitismus bis zur Gleichschaltung im NS-Studentenbund – dokumentiert, sondern vor allem versucht, Schicksale einzelner rassisch oder politisch verfolgter Studenten zu rekonstruieren.

„Die Biografien sind so vielfältig, dass man nicht von den jüdischen Studenten sprechen könnte“, erklärt Daniel Steinbach, einer von 30 Studierenden, die an der Ausstellung mitgearbeitet haben. So erinnert sich Lore Popper, es sei 1933 kein Problem an der Uni gewesen, dass sie Jüdin war. „Ich war eine Assimilierte. Ich war Berlinerin.“ Dennoch emigrierte sie bereits im Herbst 1933 nach Italien.

Mit den Nationalsozialisten kam der Terror – auch an die Universitäten. Zunächst sind es linke jüdische Studenten, die ihn zu spüren bekommen. Das neue Klima dokumentiert ein Brief des Rektors an den Dekan der Philosophischen Fakultät, in dem er ankündigt, sich um die „glatten und unmissverständlichen Fälle“, also jene „jüdische Studenten, deren Betätigung im marxistischen Sinne nachgewiesen ist“, persönlich zu kümmern. So wurden die meisten bereits in den ersten beiden Jahren der Nazi-Dikatur von der Uni vertrieben – und später auch aus Deutschland. Andere konnten zunächst weiterstudieren, immer stärker den Erniedrigungen von Kommilitonen und Dozenten ausgesetzt. Elly Freund schaffte es sogar noch 1938 inmitten uniformierter Studenten eine Prüfung abzulegen, obwohl sie als Jüdin schon ab 1933 Vorlesungen nicht mehr im Sitzen, sondern nur noch neben der Tür stehend verfolgen durfte. Eine Ausnahme, aber kein Einzelfall.

Auch der „nichtarische“ Medizinstudent Gerald Freund wurde erst 1935 exmatrikuliert. Offiziell war er durch eine Prüfung gefallen, tatsächlich hatte sich sein Professor geweigert, ihm überhaupt zuzuhören. Weil er im folgenden Semester gar nicht mehr studieren durfte, emigrierte er in die Schweiz. Einige der Vertriebenen setzten ihr Studium im Ausland fort und machten dort später sogar Karriere. Aber was blieb einem Jurastudenten kurz vor dem Examen, der Jahre das preußische Recht gebüffelt hatte, und nun versuchte, sich in Frankreich durchzuschlagen?

Es gibt viel nachzulesen auf den Tafeln, für aufwändige Exponate fehlte das Geld, entschuldigt Daniel Steinbach, die auf den ersten Blick erschlagende Textfülle. Für ein wenig Multimedia hat es dennoch gereicht. Eine graue Box in der Mitte des Foyers birgt einen Monitor, über den Interviews mit den ehemaligen Kommilitonen flimmern. Ein Video-Beamer wirft nacheinander die Namen vertriebener Studenten auf eine weiße Leinwand. Vielleicht ist das etwas viel für eine Ausstellung in einem Foyer, in dem wohl selten nachdenkliche Ruhe herrscht. Und noch nie herrschte: War es doch gerade hier, wo es schon vor 1933 immer wieder handfeste Schlägereien gab.

„Kommilitonen von 1933“ – Ausstellung noch bis zum 21. Juni im Foyer der Humboldt-Universität