Vorbereitung für die Urabstimmung

Ausgehend von Bielefeld überziehen Studierende Nordrhein-Westfalen in dieser Woche mit Protestaktionen gegen geplante Langzeit- und Einschreibegebühren. Das Kabinett hat die Studenten als zahlungskräftige Stopfer für das Haushaltsloch entdeckt

von ISABELLE SIEMES

In Bielefeld stehen seit gestern die Hörsäle leer. „Wer sponsert mir mein nächstes Semester?“ und „Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung“ prangt auf den Streiktransparenten vor der großen Uni-Halle. Dicht gedrängt hörten mehrere tausend Studierende Montagvormittag die Reden gegen die geplanten Studiengebühren in Nordrhein-Westfalen. Bielefeld könnte Initialzündung für einen flächendeckenden Hochschulstreik in NRW werden. Sämtliche Asten an Unis und Fachhochschulen haben angekündigt, gegen die Gebührenpläne der rot-grünen Landesregierung mobil zu machen. Auch Schülervertretungen wollen sich an den Protesten beteiligen.

Heute demonstrieren Studierende und Schüler in der Bielefelder Innenstadt. Morgen treffen sich die Studis in Dortmund zur Anti-Gebühren-Kundgebung. „Die Zeichen stehen auf Sturm“, sagt der Bochumer Asta- Vorsitzende Rolf von Raden. Die Bochumer haben in wenigen Tagen 3.000 Unterschriften gegen die Gebührenpläne gesammelt. In der Woche nach den Pfingstferien soll hier an der Ruhr-Uni und an anderen NRW-Hochschulen über Warnstreiks abgestimmt werden. Für den 8. Juni rufen die Asten gemeinsam zur landesweiten Großdemo in Düsseldorf auf – Motto: „Wer jetzt nicht handelt, wird verkauft.“

Das Düsseldorfer Kabinett will von jedem Studi 50 Euro als Einschreibegebühr und 650 Euro von Langzeit-, Zweit- und Seniorenstudenten kassieren. Wenn das hochschulstarke Land Gebühren erhebt, könnte der Damm bundesweit brechen. Die Technische Universität in München verhandelt bereits hinter verschlossen Türen über ein „Stipendien- und Beitragsmodell“, bei dem Gebühren von 5.000 bis 6.000 Euro jährlich im Gespräch sind. Der bayrische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair (CDU) hat allerdings gegen das Modell Veto eingelegt, das die Münchner zusammen mit dem konservativen Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) entwickelt haben. Über Gebühren entscheide der Gesetzgeber, nicht eine einzelne Hochschule, ärgerte sich Zehetmair.

Im Gegensatz zu ihrem bayrischen Kollegen hält sich die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) derzeit bedeckt. Seit zwei Wochen warten die 500.000 Studierenden in ihrem Land auf eine Stellungnahme zu dem Gebührenmodell aus dem Haus von NRW-Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), der mit dem Geld das Haushaltsloch in der Landeskasse stopfen will. Doch das Warten ist bisher vergeblich: Es sei nicht Aufgabe des Staates, für jeden jederzeit kostenlos Bildung zur Verfügung zu stellen, sagte Behler vergangenen Freitag in Bielefeld ausweichend.

Die Ministerin, die in den vergangenen Jahren die Gebührenvorstöße anderer Bundesländer scharf verurteilt hatte, ließ sich bei der Diskussion in der Bielefelder Uni nicht erweichen. Weder durch eine Gruppe als Bildungsbettler Verkleideter noch durch die Übergabe von 6.000 Protestunterschriften. Behler verwies auf die finanzielle Situation des Landes und betonte, auch über das Studienkonten-Modell werde weiterhin nachgedacht. Das setzt nicht auf Strafgebühren, sondern auf Bildungs-Gutscheine, die ein zügiges Studium belohnen, und wurde von Behler im November 2001 vorgestellt. Damals präsentierte sie ein bildungspolitisches Alternativkonzept zu den repressiven Langzeitgebühren-Modellen.

Die pädagogische Wirkung der Strafe für Bummler stellt auch das „Aktionsbündnis gegen Studiengebühren“ (ABS) in Frage: „Studiengebühren verstärken die soziale Selektion.“ Betroffen seien vor allem Studierende mit Kind und Akademiker aus einkommensniedrigem Elternhaus. „Wenn ich künftig 650 Euro pro Semester zahlen soll, bedeutet das, ich muss einen weiteren Tag pro Woche arbeiten gehen und mein Abschluss verzögert sich“, sagt der Düsseldorfer Christian Schoppe, der neben dem Studium für seinen Lebensunterhalt sorgen muss.

Von einem bildungspolitischen Steuerungsinstrument redet allerdings derzeit auch kein Politiker in NRW. Schließlich setzt der Finanzminister auf das Geld der Langzeitstudenten für sein Landessäckel. Christian Schneijderberg vom ABS ist sich deshalb sicher, „dass es längerfristig an den Unis rund gehen wird“. Im Herbst sollen die Proteste in NRW fortgesetzt werden, denn dann will die Landesregierung endgültig über das Steinbrück-Modell entscheiden.