Reden und rüsten

Im Kaschmir-Konflikt übt Indien diplomatischen Druck auf den Nachbarn Pakistan aus, hält sich aber weiterhin eine militärische Option offen

DELHI taz ■ Nach tagelangen Gefechten an der Grenze zwischen Indien und Pakistan hat sich die Lage gestern weiter zugespitzt. In Kaschmir wurde der muslimische Rebellenführer Abdul Ghani Lone erschossen. Der Führer der größten Separatistengruppe im indischen Teil Kaschmirs wurde nach Augenzeugenberichten bei einer Veranstaltung in Srinagar getötet. Lone war hochrangiges Mitglied der All Party Hurriyat Conference, einer gemäßigten Rebellengruppe.

Nach dem Schulterschluss im indischen Parlament am vergangenen Freitag beschloss der Sicherheitsausschuss des Kabinetts am Wochenende eine diplomatisch-militärische Doppelstrategie. Dabei sollen Kampfhandlungen kurzfristig als letzte Option behandelt werden, den diplomatischen Schritten jedoch den Vorrang lassen. Zuvor hatte Pakistans Präsident Pervez Muscharraf erklärt, Pakistan werde Kaschmir weiter „politisch und moralisch beistehen“. Neben den USA wirbt Delhi über seine diplomatischen Missionen bei zahlreichen anderen Ländern um Verständnis für seine Haltung. Diese Offensive zielt darauf ab, den internationalen Druck auf Islamabad zu erhöhen, bei der Terrorbekämpfung nicht so selektiv vorzugehen. Am Dienstag traf Admiral Michael Boyce, der Chef der britischen Streitkräfte, in Delhi ein. Ihm soll der Besuch des US-Unterstaatssekretärs Richard Armitage folgen.

Die USA haben ein vitales Interesse an einer Entspannung an der pakistanischen Ostgrenze, um den Krieg gegen al-Qaida nicht zu beeinträchtigen. Mögliche indische Angriffsziele beherbergen amerikanische Einrichtungen und Truppen, und für viele Beobachter ist dies die beste Garantie gegen einen begrenzten indischen Militärschlag. Allerdings erwartet Indien, dass die USA Muscharraf dazu bringen können, die Infiltration nach Kaschmir zu unterbinden.

Doch die militärischen Vorbereitungen auf der indischen Seite dienen auch der Etablierung einer noch höheren Bereitschaftsstufe. So hat der Verteidigungsausschuss beschlossen, alle Truppen einem einheitlichen Armee-Kommando zu unterstellen. Innenminister L. K. Advani sagte, Indien werde seine Strategie zur Bekämpfung des Stellvertreterkriegs ändern und dafür sorgen, dass Indien ihn gewinnen werde. Premier Vajpayee besucht derweil die Grenzregion von Kaschmir und wird heute mit Advani das Hauptquartier der drei Grenz-Korps besuchen.

Pakistan bemüht sich derweil, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Gleichzeitig verdeutlicht es – wie Indien – seine militärische Bereitschaft. Laut einem Bericht der Zeitung The Nation sollen an der Grenze Mittelstreckenraketen des Typs „Shaheen“ stationiert worden sein, die eine Reichweite von 750 Kilometer haben. Islamabad soll die Atommächte informiert haben, im Fall von „provokanten Aktionen“ alle Optionen zu nutzen, um die Sicherheit des Landes zu garantieren. BERNARD IMHASLY