transatlantik: Wenn nötig, ohne USA
Die Wehklagen gegen den „Unilateralismus“ der Bush-Regierung, die dieser Tage auch in Berlin so vernehmlich ertönen, zeichnen sich durch Geschichtslosigkeit aus. Die Kritiker sehen in der Politik der Alleingänge einen Bruch mit der bisherigen amerikanischen Politik. Wäre das wahr, so hätte es in den europäisch-amerikanischen Beziehungen vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis zum Fall der Berliner Mauer ein goldenes Zeitalter gleichberechtigter Kooperation gegeben. Diese Sicht der Dinge übersieht eine Kleinigkeit. Die USA übten 50 Jahre lang hegemoniale Macht über das westliche Europa aus. Und die funktionierte notwendigerweise asymmetrisch, was schon ein Vergleich der damaligen atomaren Abschreckungspotenziale beweist.
Kommentar von CHRISTIAN SEMLER
Innerhalb dieser Asymmetrie verstand sich die deutsche Politik ziemlich geschickt auf ein Sowohl-als-auch. Man war Atlantiker und Europäer. Nachträglich hat sich herausgestellt, dass es ohne dieses Hantieren mit der Balancierstange die deutsche Einheit 1989/90 nicht gegeben hätte. Für die Deutschen stand hinter der „atlantischen Wertegemeinschaft“ ein handfestes Interesse.
Das traf auch für die US-Politik in ihrer Auseinandersetzung mit der zweiten Supermacht Sowjetunion zu. Wo es den USA ratsam schien, konsultierten sie die westeuropäischen Verbündeten, ohne dass je in der amerikanischen Globalpolitik von einem wirklichen Multilateralismus im politischen Entscheidungsprozess hätte gesprochen werden können.
Dieser übersichtliche Stand der Dinge fand sein Ende, als mit dem Zerfall der Sowjetunion die Blockkonfrontation, damit aber auch die amerikanische Blockhegemonie sich auflösten. Lange Zeit verstanden sich die Regierungen der EU als eine Art Reparaturkolonne, die immer dann antrat, wenn die Amerikaner das grob Militärische erledigt hatten. Eine solche Politik schob den USA die Verantwortung als Interventionsmacht zu, um sich anschließend hinter vorgehaltener Hand über fehlende zivile Lösungsansätze bei internationalen Konflikten zu beklagen.
Statt über den amerikanischen Unilateralismus zu jammern, wäre es an der Zeit, ihn endlich nüchtern in Rechnung zu stellen. Die US-Machteliten haben sich immer schwer getan, Multilateralismus zu praktizieren. Erst recht schrecken sie davor zurück, Macht an internationale Gremien zu delegieren. Daraus wäre ein einfacher Schluss zu ziehen: Wenn möglich mit den USA, ansonsten eben ohne sie.
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