Metaphysik eines viel diskutierten Todes

Nach „Die Stille nach dem Schuss“, „Blackbox BRD“ und dem demnächst anlaufenden „Baader“ ein weiterer Film über einen Militanten der RAF: Gerd Conrads gründelt mit seiner Dokumentation „Starbuck Holger Meins“ im Individuellen und Kreativen – doch das Material sträubt sich

Einen Krieg gegen sich selber habe Holger Meins geführt, sagt Ex-Kommunarde Rainer Langhans in Starbuck Holger Meins. Nach der Veröffentlichung eines gleichnamigen Buchs hat sich Gerd Conrad, ehemaliger Kommilitone des Filmstudenten und späteren RAF-Mitglieds Meins mit dem Kassiber-Namen Starbuck, nun an eine filmische Revision seiner 1982 gedrehten Videodokumentation Über Holger Meins – Ein Versuch, unsere Sicht heute gemacht.

Wie Langhans hat sich Conrad längst dem Esoterischen zugewendet, dem kosmischen Denken, wie er es nennt. Und weil da jemand, der zur Waffe gegriffen hat, nicht so gut hineinpasst ins Weltbild, begibt er sich lieber auf die Spurensuche nach dem Gläubigen, dem Kreativen, dem Hypersensiblen, in dessen Brust, ach, noch im Knast zwei Seelen wohnten: die des Künstlers und die des Militanten. Und es scheint am Ende des Films Starbuck Holger Meins tatsächlich, als habe der Kampf nicht dem bundesdeutschen Staat in seiner damaligen Verfasstheit und dem Imperialismus, sondern vor allem der eigenen, als bürgerlich vorgestellten Kreativität gegolten.

Ist ein solcher Konflikt erst mal entworfen, der nur noch am Individuum sich austrägt, muss das Ende ein Tragisches sein: Abermals Rainer Langhans, die Locken illuminiert wie bei einem Verkünder des Lichts, hält das berühmte Foto des 1974 im Hungerstreik Gestorbenen in der Hand. Wer in diesem Bild mit seinen Überzeichnungen nicht einen erlösenden Tod erkennen mag – und das dürften die wenigsten Zuschauer sein – wird es zu Recht als reichlich obszön empfinden.

Und dabei hat Gerd Conrad eigentlich eine beachtliche Menge an unbekanntem Material zusammengesammelt. Was zugänglich war an Filmen, an denen Holger Meins in den 60er Jahren in Hamburg und Berlin beteiligt war (einiges liegt noch heute unter Verschluss), darunter welche mit Harun Farocki oder mit Conrad selbst, daraus präsentiert Starbuck Holger Meins Ausschnitte. Dazu kommen ein beeindruckendes Fernsehinterview von Ulrike Meinhof anlässlich der Demonstrationen gegen des Besuch des Schah von Persien 1967, Aufnahmen von der Besetzung der DFFB 1968, Fotos aus der Kommune 1, in der Meins eine Zeitlang gelebt hat, Bilder der Festnahmen von Meins und Andreas Baader, aber auch die Rede Helmut Schmidts nach dem Tod von Holger Meins. Und vieles vieles mehr, das sich unbedingt anzusehen lohnt. Denn nicht selten sträubt sich dieses Material gegen die biographische Erzählung, in die Conrad es einzufügen versucht.

Weniger widerspenstig sind da die von Conrad ausgewählten Interviewpartner, darunter Kameramann Michael Ballhaus, der BKA-Beamte Alfred Klaus, Harun Farocki, Margrit Schiller, Wolfgang Petersen, ganz zu schweigen von zwei Exfreundinnen Holger Meins‘. Und unbedingt einem härteren Schnittregiment unterwerfen müssen hätte man die Passagen mit dem Künstler Manfred Blessmann: Ehedem mit Meins befreundet, darf er hier immer wieder die Suche nach dem kreativen Menschen an den Gemälden von Holger Meins exekutieren, im Ton eines Proseminaristen in Kunstgeschichte.

Eine große Ausnahme und einen weiterer Grund, den Film anzusehen, geben die langen Interviewpassagen mit dem Vater von Meins, über einen längeren Zeitraum vor dessen Tod von Conrad aufgenommen. Wenn Wilhelm Meins in hanseatisch bedachten Worten von seinen teils erfolgreichen, teils gescheiterten Versuchen berichtet, Aufklärung über die Todesumstände seines Sohnes zu erlangen, dann wird plötzlich an jemandem, von dem man es eigentlich nicht für möglich gehalten hat, einem Kleinbürger, eines sehr deutlich: jene Politisierung und Radikalisierung nämlich, die der erste im Gefängnis gestorbene RAF-Militante für viele in der Bundesrepublik nach sich gezogen hat, die den Tod Benno Ohnesorgs noch für einen Betriebsunfall gehalten hatten.

Christiane Müller-Lobeck

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