Der Herr der Absperrkette

■ Sein Arbeitsplatz: Drei Bahnübergänge in der Innenstadt. Sein Job: Kette ein- und aushängen. Seine Aufgabe: Aufpassen, dass keiner vor die Tram rennt

High noon in Bremen City: Die Sonne brennt erbarmungslos, kein Schatten weit und breit. Ein 22-Jähriger in orangefarbener Bauarbeiterweste steht schwitzend am Bahnübergang Liebfrauenkirchhof. Er kennt seine Aufgabe: „Unsere Pflicht ist es nicht, rumzusitzen. Unsere Pflicht ist es, aufzupassen.“ Und zwar darauf, dass kein unachtsamer Fußgänger von einer Straßenbahn überrollt wird – oder sich aufs Baustellengelände verirrt. Abtrünnige bringt er mit einem Wink zurück auf den rechten Weg.

Der junge Mann vom Security-Dienst schickt seinen wachsamen Blick die Gleise entlang über die Baustelle. Noch hängt die Kette vor der Gleisdurchfahrt und signalisiert Sicherheit. Doch schon kommt Bewegung in den Wächter: Er hakt die Sicherheitsabsperrung auf, hält die Dreiklang-Tröte im Anschlag – nur für den Fall, dass ein zusätzliches Signal vonnöten ist.

Der Mann hat Macht. Die letzten FußgängerInnen dürfen passieren, der Wächter treibt mit aufforderndem Winken zur Eile an. Einhalt gebietend hebt der Herr der Absperrkette schließlich die Hand gegen die, die noch schnell über die Gleise huschen wollen. Er breitet schützend seine Arme vor den Ahnungslosen aus und bewahrt so TouristInnen, Kinder und EinkäuferInnen davor, in ihr Unheil, vulgo vor das Schienenfahrzeug zu laufen. Im Schritttempo rollt die stählerne Schlange vorüber. Kaum hat sie die Passage hinter sich gelassen, gibt der Sicherheitsposten den Weg wieder frei. FußgängerInnen schwatzen, spazieren über die Gleise, die Gefahr ist gebannt.

So sieht jeder Tag für die Männer mit den gelben und orangenen Leuchtwesten an den Übergängen vor dem Dom, am Liebfrauenkirchhof und vor Karstadt gleich aus. Die immer selben Stücke der Straßenmusiker kennen sie schon aus dem Effeff. Die Männer sorgen in zwei Schichten für die Sicherheit an den Gleisen: Von morgens um halb sieben bis mittags um zwei oder von mittags bis abends um neun. Nach 21 Uhr übernimmt nur noch ein Einzelner die Aufsicht über alle drei Übergänge, bis die letzte Bahn des Tages in Richtung Obernstraße oder zur Domsheide entschwunden ist.

Doch nicht alle sind dankbar für die gewissenhafte Ausführung ihrer gesellschaftlichen Aufgabe. Trotz Schutzfaktor 10.000 schimpfen sie auch noch! Da musste der 22-Jährige auch schon ärgerlich werden: „Die meisten parieren sofort. Aber diese Dame wollte partout nicht hören.“ Obwohl er sie ermahnt hatte, ging sie schnurstracks weiter. Selbst der Wachmann konnte sie auch nicht mehr zurückhalten. Jeder hat nur ein Leben. Zum Glück ging alles noch mal glimpflich aus: Die Bahn konnte gerade noch quietschend anhalten. Ulrike Bendrat