Tanz den Pokemon

Paralleluniversen des afrikanischen Pop: Koffi Olomide, Papa Wemba und Lokua Kanza sind allesamt Stars aus dem Kongo, die in Paris große Hallen füllen. Einfach ist der Spagat nicht zwischen afrikanischen Fanzirkeln und Weltmusikhörern

von JAY RUTLEDGE

Als Koffi Olomide kürzlich in Paris sein Album „Effrakata“ der Öffentlichkeit vorstellte, hielt er eine Pressekonferenz in einem schicken Restaurant in der Nähe der Champs d’Élysées ab. Dabei wurde deutlich, dass Bescheidenheit nicht seine Sache ist: Für die Präsentation ließ sich der zurzeit wahrscheinlich populärste kongolesische Musiker eigens einen Thron aufbauen. Die anwesendenen Journalisten kamen fast alle von afrikanischen Medien, die französische Presse dagegen fehlte fast gänzlich. Das Album hatten alle geladenen Gäste am Eingang in die Hand gedrückt bekommen, und die Konferenz begann, ohne dass es jemand zuvor gehört hätte. Doch das störte niemanden, denn Koffi Olomide gilt ohnehin als Ikone. Mit Sätzen wie „Jetzt, wo das meist erwartete Album Afrikas endlich erschienen ist …“ leiteten die meisten Journalisten devot ihre Fragen ein, und Koffi Olomide hielt Hof: Gönnerhaft gab er Antworten oder verweigerte sie, wie etwa die nach der Bedeutung des seltsamen Albumtitels „Effrakata“.

Zwei Wochen später meldet sich eine leicht gelangweilte Stimme am Telefon: „Ja, hier Koffi Olomide.“ Doch das Interview per Telefon erweist sich als unergiebig, nicht nur wegen der schlechten Verbindung. Eine Frage wie: „Was passiert musikalisch eigentlich gerade in Kinshasa?“ beantwortet der Meister wie selbstverständlich mit: „Die neue Platte von Koffi Olomide ist gerade erschienen.“ Was er zu Hause hört, was ihn zuletzt beeindruckt hat? „Zum Beispiel die Backstreet Boys“, antwortet der Star da. Einzig bei der Frage nach Gästen, die er gerne auf seinem nächsten Album hätte, zögert er kurz: „Darüber rede ich erst, wenn es so weit ist.“ Denn Koffi Olomide schielt auf den westlichen Popmarkt. Einige internationale Kooperationen hat es in den letzten Jahren schon in dieser Richtung gegeben, etwa mit dem auch in Europa erfolgreichen Salsa-Orchester Africando. Dabei könnte Koffi Olomide auf solche Weltmusikfans, die afrikanische Musik bewusst traditionell und unkommerziell mögen, eigentlich verzichten, denn er kann gut von seinen kongolesischen Fans leben. Die fänden es eher peinlich, wenn ihr Idol auf einmal den bodenständigen Afrikaner machen würde, den das Weltmusik-Publikum im Westen erwartet, statt in teuren Sportkarossen herumzufahren.

Der singende Student

Koffi Olomides Karriere lässt sich gut an den Titeln ablesen, die er im Laufe der Jahre verliehen bekam. „Der berühmteste Student aus Zaire“ war sein Spitzname, als er einst in Frankreich studierte und seine Semesterferien nutzte, um in Kinshasa erste Songs aufzunehmen. Schon damals erschloss sich der Crooner jenes Publikum, das ihm bis heute am treuesten ergeben ist: das weibliche. Gegen den Willen seines Vaters hielt er an der Musik fest: 1986 gründete er seine eigene Band, und als sich 1988 seine Hymne auf die damalige Miss Kongo zum riesigen Hit entwickelt, wird er zum „Golden Star“ ausgerufen. Zwischen 1990 und 1994 nimmt er sieben Alben auf, die in ganz Afrika gefeiert werden und ihn vollends zu einem der größten kongolesischen Musiker machen: Jetzt darf er sich „Rambo“ nennen.

1998 geht dann sein Traum, der Lebenstraum der meisten Musiker aus dem frankofonen Afrika, in Erfüllung: ein Auftritt im legendären Olympia-Theater in Paris. Und noch immer führt sein Weg steil nach oben: Erst kürzlich gab er ein Konzert im ausverkauften Stadion von Bercy, in dem immerhin 19.000 Zuschauer Platz haben. Fast ausschließlich Afrikaner sollen dort gewesen sein, wie immer bei seinen Konzerten, und davon wiederum, so heißt es, die meisten Frauen. Europäer dagegen finden bei solchen Anlässen selten den Weg in dieses afrikanische Paralleluniversum.

Botschafter per Benefiz

Für einen afrikanischen Musiker, mag er in seiner Heimat noch so ein Star sein, führt der einzige Weg zu internationalem Ruhm bis heute gewöhnlich über die Benefiz-Schiene. Einer, der es vorgemacht hat, ist Papa Wemba. Vor zehn Jahren landete der Superstar des Soukous, der populären Partymusik des Kongo, bei Peter Gabriels prestigeträchtigem Weltmusik-Label „Real World“ und erlangte mit seinen beiden Popalben „Le Voyageur“ und „Emotion“ auch in Europa Bekanntheit. So stieg er in die Oberliga der musikalischen Botschafter Afrikas auf und spielte auf Wohltätigkeitsveranstaltungen aller Art: gegen die HIV-Ausbreitung, fürs Internationale Rote Kreuz und Ähnliches.

Dabei galt Papa Wemba lange Zeit als einer der exzentrischsten Musiker Afrikas. Auch wenn er heute nicht mehr teure Designerschuhe auf dem Kopf balanciert, damit die Fernsehkameras mitbekommen, dass sie 2.000 Dollar gekostet haben, so ruft er immer noch regelmäßig in Paris sein S.A.P.E.-Parlament zusammen, um sich als Modekenner feiern zu lassen. Die Initialen stehen für „Sociéte des Ambianceus et ces Personnes d’Elegance“ und bezeichnen jene Fashion Victims, die sich nach dem Vorbild von Papa Wemba kleiden und im Kongo einst eine veritable Jugendbewegung bildeten. Ein Foto auf seiner offiziellen Homepage zeigt Papa Wemba in der Frühjahr-Sommer-Kollektion 2002 von Masatomo. Was Exzentrik und Extravaganz angeht, kann selbst Koffi Olomide noch von ihm lernen.

Seit Jahren hofft er nun, neben afrikanischen Kollegen wie Youssou N’Dour oder Salif Keita, auf einen nachhaltigen Durchbruch als internationaler Popstar, doch so richtig geklappt hat es bei keinem von ihnen. Die meisten von ihnen fahren deswegen heute zweigleisig: Sie veröffentlichen domestizierte Weltmusikalben für den westlichen Markt und knallige Kassetten, die den Geschmack in ihren Heimatländern treffen. Um sein europäisches Publikum zufrieden zu stellen, rief Papa Wemba eigens eine neue Band namens Molokai ins Leben. In Europa präsentiert er seinem Publikum glatten Afropop, nicht selten im Rocksound der Achtziger, mit jeder Menge Keyboards und ein paar lokalen Instrumenten. Zu Hause aber wird Pokemon getanzt, wie einer der neuesten kongolesischen Tanzstile heißt. Für seine afrikanische Klientel hält sich Papa Wemba weiterhin seine ursprüngliche Band, Viva La Musica, die es inzwischen sogar in zwei Varianten gibt: Die eine Formation, Viva La Musica, dient ihm für Auftritte in Kinshasa und dem restlichen Afrika sowie als Talentschmiede für den Nachwuchs. Mit der anderen Band, Viva La Musica Nouvelle Ecrita, arbeitet er im Studio, und besucht damit die kongolesischen Communities im Ausland.

Mit seinem neuen Album „Bakala Dia Kuba“ – zu Deutsch: „Der weise Mann“ (Sonodisc) – versucht Papa Wemba jetzt erstmals, seine verschiedenen Projekte zusammenzubringen. Verstärkung hat er sich dafür von Musikern wie Ray Lema oder Lokua Kanza geholt, die sich bereits auf dem Weltmusik-Parcours etabliert haben. Sie sollen seine Musik einem westlichen Publikum näher bringen und, das ist neu, auch zu Hause im Kongo die kommerzielle Musikszene, die sich doch sehr in eingefahrenen Bahnen bewegt, für Neues öffnen. „Ich setze mich da ein bisschen von den anderen Künstlern im Kongo ab“, gibt Papa Wemba beim Interview in Paris zu Protokoll. „Im Moment ist die Musikszene im Kongo von Songs geprägt, die sehr schnell sind und nur auf Tanzbarkeit aus. Viele, gerade ältere Leute haben genug von dieser Art von Musik. Ich biete ihnen nun eine Musik an, bei der sie zuhören können und etwas finden, das sie von früher her kennen, mit schönen Melodien und guten Texten. Natürlich in Lingala, damit alle verstehen, was ich sage.“

Die weißen Akkorde

Während Papa Wemba den Spagat zwischen afrikanischem Publikum und der Weltmusik-Audienz probt und Koffi Olomide sein Erfolgsrezept für den Kongo so oft recycelt, bis eine Platte kaum mehr von der nächsten zu unterscheiden ist, hat sich Lokua Kanza voll und ganz dem subtilen Songwriting westlicher Prägung verschrieben. Auch Lokua ist in einer modernen afrikanischen Großstadt aufgewachsen, seine Musik aber macht, mit ihrem warmen und akustischen Klang, einen betont handgemachten und naturbelassenen Eindruck. Obschon er um solche Assoziationen weiß, hebt Lokua Kanza im Interview aber nicht auf seine Herkunft aus einem afrikanischen Elternhaus ab wie manche seiner Kollegen, die sich, dem Weltmusik-Klischee entsprechend, schwer traditionsverbunden geben und etwa von ihrer Großmutter erzählen, die beim Kochen immer gesungen hat, oder Ähnliches: Solche Plattitüden zielen vor allem darauf ab, die angeblich so ungebrochene Authentizität der afrikanischen Musik hervorzuheben. Tatsächlich ist Musik in Afrika aber meist nicht weniger kommerziell als in Europa und wird, weit mehr als hier, als Broterwerb und Handwerk gesehen, nur selten als Kunst.

In diesem Punkt unterscheidet sich Lokua Kanza tatsächlich von vielen afrikanischen Kollegen, in dem er einen künstlerischen Anspruch formuliert und dabei sogar so etwas wie einer Berufsethik das Wort redet, die auch Verantwortung impliziert: „Musiker sein ist ein Beruf, nicht anders als Arzt. Bevor ein Arzt mit dem Messer an einem Menschen herumschneidet, muss er lange und hart studieren. Mit Musik ist es das Gleiche, nur dass es dabei nicht um den Körper, sondern um die Seele eines Menschen geht. Und ich will nicht mit der Seele der Menschen herumspielen“, erklärt er kategorisch.

Seine Laufbahn als Musiker begann Lokua Kanza noch im Kongo, als Begleitmusiker der gefeierten Sängerin Abeti. Als er Jahre später in Paris landete, suchte er bezeichnenderweise nicht gleich den kürzesten Weg in die kommerziellen Studios der Stadt, sondern schrieb sich auf einer Musikhochschule ein, um sich mit Harmonielehre und Gitarrenspiel auseinander zu setzen. Nach ein paar Jahren nahm er sein erstes Album auf, auf dem er sich an einem neuartigen, afrikanisch inspirierten und akustischen Gitarrenstil versuchte. Die Kongolesen wandten sich ab, während die Europäer die Ohren spitzten, als sie seine subtilen Arrangements hörten. Heute, gut zehn Jahre später, ist aus dem Außenseiter der erfolgreichste kongolesische Musiker im Westen geworden, ein Star der Weltmusik.

Gelegentlich droht Lokua Kanza schon mal mit seiner Musik in die Falle naiver Gefühlsduseligkeit zu tappen. Und übersetzt man seine Texte ins Deutsche, wie Lokua das auf seinem aktuellen Album gemacht hat, kippt Lokua Kanzas Wille zur Emotionalität schnell in Ethno-Kitsch um. Aber Lokua Kanza ist weit mehr als nur ein afrikanischer Musiker, der mit romantischen Balladen den Nerv eines politisch aufgeklärten Publikums in Europa trifft. Er ist auch ein ausgezeichneter Musiker, dem inzwischen auch seine afrikanischen Kollegen Respekt zollen und bei denen er als Produzent hoch im Kurs steht.

„Anfangs sagten meine Leute immer, wenn ich einen etwas komplizierteren Akkord spielte, ich solle diese weißen Akkorde weglassen“, erinnert sich Lokua Kanza lächelnd. Dann demonstriert er, die Takamine-Gitarre auf den Knien, ein paar Griffe, die einfach und schwerelos daherkommen, tatsächlich aber das Ergebnis harter Arbeit sind.