Theater in der Warteschleife

Wer die Garderoben sieht, wundert sich nicht mehr über schreiende Schauspieler. Die Volksbühne ist ein Sanierungsfall. Das vom Senat zugesagte Geld ist schon lange fällig. Und Intendant Castorf hat noch immer keinen neuen Vertrag. Ein Hausbesuch

Die erste Rate sollte bereits in diesem Jahr fleißen. Das war schon mit Stölzl abgemacht

von JAN ROSENKRANZ

Die Baufälligkeit begrüßt einen neuerdings schon an der Eingangstreppe – mit Absperrband. Natürlich könnte man das Foyer dahinter liebenswert schrabbelig nennen – oder den materialisierten Schrei nach Sanierung.

Der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz geht es nicht gut. „Es kommt zwar darauf an, was auf der Bühne passiert, aber Gemütlichkeit kommt hier nicht auf“, sagt Ed Dunkel und zeigt auf die Auslegeware, auf Flecken und blätternde Farbe. Ed Dunkel trägt Kotletten und sieht mehr nach Mustang, Highway und Rock ’n’ Roll aus als nach Bühneninspektor und stellvertretendem technischen Leiter. Nach der Hausführung durch schmale Gänge, über steile Treppen, tiefe Keller hat man eine gewisse Vorstellung davon, warum hier für mehr als 9 Millionen Euro saniert werden muss. Und wer die Garderoben gesehen hat, wird nie wieder etwas gegen schreiende Schauspieler sagen. Die Planungsunterlagen existieren bereits, man könnte sofort bauen, wenn der Bausenat das Geld endlich freigäbe. Tut er aber nicht.

Geld, immer wieder Geld. Und eigentlich soll hier ja vor allem Theater gemacht werden. Wie eine Nutte müsse er auf den Strich gehen, um ein Paar Mark zusammenzubekommen, hat Volksbühnen-Intendant Frank Castorf jüngst auf einer Ausschusssitzung im Abgeordnetenhaus lautstark beklagt. „Das Recht der ersten Nacht“ nennt es Castorfs Verwaltungsdirektorin Gabriele Gornowicz. Man kommt eben nur über die Runden, wenn Castorf seine Premieren in Wien oder Salzburg aufführt. Weil dann die Kofinanzierung der Gastgeber für die Inszenierungen höher ausfällt.

Gabriele Gornowicz ist eine freundliche Frau mit orangerotem Haar, die auch dann noch lächelt, wenn sie scharfzüngig die Berliner Theaterlandschaft seziert. Sie führt hier die Geschäfte, und das ist gut so. Frauen seien nun mal besser im Wirtschaften, habe die Bündnisgrüne Kulturpolitikerin Alice Ströver ihr einmal attestiert. „Das Haus ist frei von Schulden“, obwohl der Etat im Vergleich zu 1995 fast 4 Millionen Euro kleiner ist, sagt Gabriele Gornowicz – nicht ohne Stolz. Sie sitzt in ihrem kleinen Büro hinter dem überbordenden Schreibtisch und fragt sich trotzdem: Was nun? Castorfs Vertrag läuft am 31. Juli aus. Aller Voraussicht nach wird die Volksbühne die lange versprochenen zusätzlichen 816.000 Euro nicht bekommen, jedenfalls nicht in diesem Jahr. Castorf hat gedroht, dass er dann geht.

3 Millionen Mark sollte die Volksbühne für ihre Neustrukturierung bekommen, deswegen trennte man sich von Kresniks Tanztheater. Das war schon mit Kultursenator Stölzl besprochen worden. Die erste Rate sollte in diesem Jahr fließen. Dabei hätte man Stölzl am ehesten inhaltliche Probleme mit dem Theater unterstellen können, Nachfolgerin Goehler schon nicht mehr und dem jetzigen PDS-Senator Thomas Flierl wohl am wenigsten. Trotzdem scheitert nun ausgerechnet unter ihm die Zusage. „Da muss er sich verdammt noch mal durchsetzen“, fordert Gornowicz. Schließlich habe man ihn ja nicht zum Senatorenjob prügeln müssen.

Ed führt über die Bühne. „Der Boden sieht aus!“, sagt er auf dem Weg zum modernen vorzeigbaren Inspizientenpult. Von hier aus gehen während der Vorstellung Kommandos an alle Gewerke von der Maske bis zur Beleuchtung. Auch oben auf dem Schnürboden, wo inmitten von Kabeln, Stricken, und Lampen per Computer alle Seilzüge gesteuert werden, sieht es noch ganz passabel aus. Doch ein Gang unter die Bühne ist eine Zeitreise ins Baujahr 1912. Fast zehn Meter tief geht es in den Keller, hinab zu einem technischen Denkmal, das an das Schiffshebewerk von Niederfinow erinnert. Zwar können Dreh- und Hebebühne einzeln auf und ab gefahren werden. Doch wenn sich die Spindeln drehen, bebt das ganze Haus. „Das mag bei den Nibelungen ja ganz passend sein, sonst stört es gewaltig“, sagt Ed.

Eigentlich gäbe es zwei Wege, das Finanzproblem jetzt anzugehen, sagt Verwaltungsdirektorin Gornowicz: Der wahrscheinlichere sei ein festgeschriebener Etat. Der andere wäre ein Zuwendungsvertrag. Der würde der Volksbühne mehr Eigenständgkeit zusichern, aber eine Änderung der Rechtsform voraussetzen. Am liebsten hätte man eine Stiftung. Der Haken: Alle Mitarbeiter müssten zustimmen. „Auf die Gefahr hin, auf 10 Prozent Gehalt verzichten zu müssen und auch noch kündbar zu werden – ich wüsste nicht, warum da auch nur einer zustimmen sollte“, sagt die Verwaltungsdirektorin. Man müsse sich doch nur das Berliner Ensemble ansehen.

Ed sagt, es sei hier anders, man halte zusammen. „Wenn der Castorf geht, können se den Laden dicht machen.“ Die Leute würden doch vor allem wegen ihm „rackern und machen“. Gabriele Gornowicz sagt: „Nur er konnte die Leute halten. Die blieben trotz der geringen Gagen.“

Castorf hat einmal angedroht, er werde die Volksbühne anderen nicht kampflos überlassen. Aber wohl auch nicht um jeden Preis. Eigentlich könnte er jederzeit auch als freier Regisseur arbeiten. Angeblich gibt es bereits erste Anfragen – sogar aus Berlin. Noch krächzt in der Telefonwarteschleife der Volksbühne eine schräge Coverversion des Kirchentaghits „Danke für diesen schönen Morgen“. Nach einer Weile ertönt sogar die Zeile „Danke für meine Arbeitsstelle“. Aber als Beweis taugt das wohl nicht.