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Dollars zum Frühstück

Das Performance-Festival „reich & berühmt“ im Podewil kokettiert mit dem Geldmangel. Doch der versuchte Tanz auf der Klippe zwischen Armut und Glamour wirkt etwas ungelenk

Konzeptkunst verpflichtet: Auch auf die Ästhetik der Siebziger, scheint es

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Sie pflegen ihn voller Hingabe, ihren Dilettantismus. Vier Performerinnen (Christine Groß, Sophie Huber, Claudia Splitt, Tatjana Turanskyj) improvisieren 72 Minuten lang über Liebe, Verlassenheit, Eifersucht und Geld. Wie Kaugummi am Schuh, so klebt die Kamera klebt an ihren Lippen, die sich nervös über die Zähne schieben: „Komm, wir blamieren uns.“ Sie suchen die passenden Songs im Playback-Automaten, potenzieren ihre Einsamkeit vor dem Großbildschirm einer Pornofilmkabine und zerren einen blonden Mann als Objekt des Zanks durchs Bild. Sie kippen sich Wodka hinter die Binde und trinken Kinderlimo mit dem Strohhalm, mit den Gesten des Machos und der Infantilität die Unsicherheit überspielend: Was ist das eigentlich heute, ein Leben als souveräne Frau, allein? So viele Entwürfe und keiner passt. Sie liegen kichernd zu viert im Bett und beißen in Brötchen mit Dollarnoten. Das ist die Koketterie des Low Budget. Denn Geld haben sie keins, weder in ihren Rollen noch als Produzentinnen ihres Films „Hangover“.

Kein Drehbuch, kein Regisseur, keine Geschichte; bloß das nackte Klischee zeigt seine Knochen. Mutig stürzt sich die Gruppe Science & Fiction auf diese Essenz des Trash, alles andere als bloße Tarnung der Kulturindustrie vor die Türe kehrend. Die Reduktion ist nicht nur eine Frage der Produktionsbedingungen, sondern auch eine des Ethos. Man denkt bei dieser Entblößung der Wurzeln des Kitsches an die frühen Filme von Fassbinder und von Rosa von Praunheim und kommt sich dreißig Jahre später plötzlich zu alt vor, um auf Sitzkissen halb liegend und mit steifem Nacken zur Projektion an der Wand hochzustarren. Das ist aber jetzt ein ungerechter Vergleich, schon fühlt man sich als gichtiger Spielverderber. Schließlich sind das hier, bei der Aufführung von „Hangover“ im Podewil, fast alles Freunde der Performerinnen.

Ihr Credo – „Wir glauben an das Experiment“ – könnte gut als Motto des Festivals „reich & berühmt“ gelten, das einen großen Bogen um alles macht, was nach abgeschlossener Dramaturgie riecht. Konzeptkunst verpflichtet: Die Reflektion des Produktionsprozesses und das offene Ergebnis ist ebenso Ehrensache wie der ironische Umgang mit dem Mangel. Einschlägig bekannte Vortragskünstler wie Thomas Kapielski, Diedrich Diedrichsen und Boris Groys, die zumindest das Berühmtsein geschafft haben, sorgen für die theoretische Durchdringung.

Doch das Tänzeln auf der Klippe zwischen Absturz und Glamour fällt dieses Jahr etwas schwerer. Am Nachmittag trafen sich die Veranstalter des Podewil, der Sophiensäle und der Ufa-Fabrik mit hängenden Schultern vor den Türen des Unterausschuss Theater im Abgeordnetenhaus von Berlin und verglichen ihre Lücken im Etat. Eine Viertelmillion fehlt fast jedem Haus, auch nach der Korrektur der zuerst ausgesprochenen Reduktionen. Drinnen wurde eine Nachschiebeliste verhandelt, die den Verdacht bestärkte, dass bei den kleinen Häusern Summen herausgekratzt werden, die ihre Arbeitsfähigkeit in Frage stellen.

Die Endzeitstimmung trübt etwas den Blick auf die eigene Leistung im Podewil und Pathos macht sich breit in der Selbststilisierung als Nest des ästhetischen Widerstandes. „Wieder Zoff im Podewil … Kratt war hier in seiner Jugend auf Diskussionen, Lesungen, Ausstellungen, Konzerten“, schreibt Werner Labisch in einer Geschichte im Programmheft von „reich & berühmt“, einer trüben Vision von „Berlin im Jahr 2020“. „Wann haben sie das Arbeitsamt eigentlich komplett abgeschafft? Nachdem sie den Haushalt so zusammengestrichen haben, dass alles sowieso nur noch Fassade war? Ach ja, vor fünf Jahren, 2015, nach dem Selbstmordattentat in der Jobbörse.“ Coolness und der Wunsch, der Wirklichkeit der Ökonomie unverschleiert ins Auge zu blicken, gehen da ein etwas steifes Bündnis ein. Auf alles gefasst sein, und doch die Partylaune nicht verlieren. So ist die Bar im Foyer mit gekreuzten Gewehren aus Pappe verziert.

Utopie, das war einmal. Miniröcke und Westernstiefel sind wieder in, in der Tanzperformance „Around the world – die Reise bin ich“ von Jochen Roller aus Hamburg, ebenso wie eine Wohnlandschaft mit Kissenmodulen und orange Kugellampen. So was fanden die Eltern schick als die, die dazwischen mit dem aalglatten Sexappeal von Hostessen und Reiseleitern zum Blues tanzen, ganz klein waren. Damals feierte das Design Flexibilität und Mobilität als Schritt zum Ausbruch des Subjekts aus den Konventionen der Familienordnung, und ein Ausflug zum Flughafen am Wochenende galt als Einstimmung auf ein Leben „around the world“. Inzwischen ist die Kehrseite des Traums vermessen und das Subjekt, das sich selbst nur als Knoten in verschiedenen Netzwerken begreift, als äußerst anpassungsfähig im Gefüge der Warenökonomie durchschaut.

Rollers Stück ist verliebt in den Stil der Siebziger. In einer der witzigsten Sequenzen werden wir durch einen Park der kopierten Monumente geführt, eine Versammlung touristischer Höhepunkte à la Disney. In eigenartigen Bewegungsrätseln geben die Tänzer berühmte Sehenswürdigkeiten – den Tadsch Mahal, die Niagara-Fälle – und scheitern planmäßig an der Größe des Vorgestellten. Eingestreute Diskurse über „movement, space and time“, das „Subjekt als Knoten“ und die Frage, ob man mit einem Flug über die Datumsgrenze seinem dreißigsten Geburtstag entgehen kann, verraten den Anspruch, choreografische Muster als Metapher sozialer Gefüge zu lesen, gleich in doppeltem Sinn: Einerseits behaupten sie diese Lesart von Bewegung, andererseits lassen die schlichten Tänze das Konzept als lächerliche Überhöhung abprallen. Dieser Witz reicht aber nicht, um dem Stück lange mit Spannung zu folgen.

„Die symbolische Zerstörung der Welt (…) hat in einer Welt, die sich selbst zerstört, jegliche befreiende Wirkung verloren“, haben die Kuratorinnen Aenne Quinones und Kathrin Tiedemann festgestellt. Vielleicht ist das der Grund für die Harmlosigkeit des Programms.

Bis zum 1. Juni im Podewil

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