Die Spur der Schwarzen Hand

Beim Freundeskreis des Manu Chao: Barcelona hat sich zum Zentrum einer florierenden alternativen Bandszene entwickelt. Deren Mestizo-Mixtur ist der neue Sound einer globalisierten Subkultur des Südens und findet in Lateinamerika ihren Widerhall

von KATRIN WILKE

Ausgerechnet eine Band aus Paris war es, die schon in den Achtzigern Barcelonas wilde Andersartigkeit besang: In ihrem Song „Indios De Barcelona“ unternahmen Mano Negra einen kleinen Nachtflug durch die Gassen der Altstadt nahe dem Hafen, abseits der prächtigen Avenidas. Dass dort fünfzehn Jahre später eines seiner Konzerte 60.000 Leute auf den Plan rufen würde, das hätte sich Manu Chao, Ex-Frontmann jener so einflussreichen Ethno-Punk-Kapelle, damals wohl kaum träumen lassen.

Heute zählt Manu Chao selbst zu den vielen vagabundierenden Musikern, die in Barcelona hängen geblieben sind – „wegen des angenehmen Klimas und des relativ erschwinglichen Lebens: ein gerade für Musiker nicht zu verachtender Vorteil“, wie sein Kollege Toti Armany, Soundbastler und Produzent diverser Bands, lakonisch bemerkt. Und sie kommen aus allen Richtungen: Denn je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtet, ist Barcelona eher ein nordeuropäischer oder aber ein südländisch-mediterraner Ort: die ideale Kombination zweier Welten also, die sich in der florierenden, alternativen Bandszene der Stadt widerspiegelt.

Zirkus-Charaktere

Im Barrio Gótico, dem quirligen Viertel am Rande der Rambla, Barcelonas wichtigster Flaniermeile, findet man nicht nur die meisten Döner- und Plattenläden der Stadt und Bars, die über Nacht neu eröffnet werden. Hier, besonders im Dunstkreis eines kleinen, nach George Orwell benannten Platzes, tummeln sich auch die meisten jener Musiker, die derzeit in Spanien und darüber hinaus für Trubel sorgen. Nahezu alle begannen als Straßenmusiker mit zirkusähnlichen Spektakeln. Und auch wenn eine Band wie Dusminguet mittlerweile weniger auf Hochzeiten oder irgendeinem Marktplatz als auf großen Festivals zu finden ist: Nicht selten bringen sie gemeinsam mit ein paar Feuerschluckern oder anderen Lichtgestalten ihr Crossover aus Latin-Rhythmen, Orient- und Balkanklängen auf die Konzertbühne. Neuerdings scheinen auch arabische Elemente prominent auf, schließlich nahmen Dusminguet ihr letztes Album „Postrof“ in Marokko auf.

Angefangen hat alles auf einem Dorf unweit von Barcelona, wo sich zu Beginn der Neunziger eine Hand voll Freunde zum Musizieren zusammenrottete: darunter neben Toti auch der Franzose Tomás Arroyos, der schon zuvor als Mitmusiker von Mano Negra dem Pachanka gefrönt hatte, einem anarchisch tosenden Fiesta-Vergnügen. „Früher wie heute spielen die Pachanga- Orchester vor allem auf Dorffesten zum Tanz auf. In ihrem Repertoire finden sich folkloristische Evergreens und alle nur denkbaren, auf dem Lande gerade angesagten Tanzstile. Eine Band wie Mano Negra gab dieser uralten Tradition quasi nur einen neuen, punkig-ruppigeren Impuls“, meint Tomás Arroyos. Und mit „Pantchanka“, mit hartem k gesprochen, einen entsprechend deftigen Namen.

Bei Dusminguet ist diese Fiesta-Laune in ihrer Musik kaum zu überhören, genauso wie bei vielen der mit ihnen befreundeten Bands aus Barcelona und anderen Ecken Spaniens. Bisweilen ist er eher subtil, als eine Art Nachhall zu vernehmen: wie etwa bei dem Brasilianer Wagner Pá oder dem Nordspanier Tonino Carotone, der vom Punk-Musiker zum pomadigen Interpreten ironisch gebrochener Italoschnulzen mutierte. Ebenfalls zur Generation der jüngeren Pachangueros zählen der algerisch-katalanische Rai-Barde Cheb Balowski oder die Band Trimelón: Ihre Mixtur aus Ska, Funk und katalanischer Rumba erwies sich als ideale Ergänzung für Manu Chao, als dieser bei seinem Mega-Konzert im letzten Jahr Barcelonas prall gefüllter Plaça Catalunya zum Pogo-Tanzen brachte.

Während sich Barcelona mit seinen vielen kleinen Labels, Verlagen und Veranstaltern zur Metropole musikalisch innovativer und alternativer Umtriebigkeit mausert, scheint Madrid dagegen in einer tiefen Siesta zu dämmern. Dort erinnert heute nicht mehr allzu viel an die Sturm-und-Drang-Bewegung der so genannten Movida, die nach Francos Tod bis in die Achtziger hinein die gesamte Kulturszene aufmischte. Die spanische Hauptstadt beherbergt nicht nur eine konservative, kulturell recht ignorante Staatsregierung, sondern mit allen großen, multinationalen Plattenfirmen auch das musikalische Establishment. Daher verbindet man etablierte, international erfolgreiche Bands wie Jarabe de Palo oder Estopa kurioserweise auch mit Madrid, obwohl sie recht eigentlich aus Barcelona stammen.

Hafen der Immigration

Barna, wie die Bewohner ihre Stadt rufen, war als Hafenstadt schon immer auch eine Anlaufstelle für Immigranten. Die Öffnung zum Meer bringt wohl fast zwangsläufig eine Weltoffenheit mit sich, die weder viel übrig hat für allzu große katalanische Engstirnigkeit noch für hauptstädtische Präpotenz. Mit dem Meer vor der Nase lässt es sich offenbar angenehmer leben und dabei künstlerisch kreativ sein.

Auch die Band Macaco bewegt sich mit ihrem neuen Album „Rumbo Submarino“ (zu Deutsch: Unterwasserkurs) ganz im Fahrwasser der Bewegung. Dass sie sich bei ihren musikalischen Erkundungen nicht nur rund ums Mittelmeer umgeschaut, sondern in die ultramarine Endlosigkeit des Atlantiks hinausgewagt hat, ist für Dani Carbonell, den Mastermind von Macaco, das Ergebnis seiner Begegnungen mit anderen Musikern in Barcelona.

„Ich habe zunächst vor allem mit mobilen Sound-Systems gearbeitet. Doch mit der Zeit bin ich immer mehr mit hier in Barcelona lebenden Musikern aus Brasilien und Kolumbien in Kontakt gekommen und wir begannen, unsere jeweiligen Traditionen miteinander ins Spiel zu bringen: So haben wir HipHop, Ragga, Dub und diverse andere Elektronika mit Flamenco und Rumba kompatibel gemacht.“

Dank der andalusischen Immigranten gehören der Flamenco und seine leichtfüßige Schwester, die katalanische Rumba, längst zum Soundtrack der Stadt Barcelona. Diesen Musiktraditionen mittels Scratching, HipHop und Percussion eine neue Gestalt zu geben, ist auch erklärtes Ziel des neunköpfigen Ensembles Ojos de Brujo. „Unsere musikalischen Vorlieben einen uns, obwohl wir alle einen sehr unterschiedlichen Hintergrund haben. Wir sind eine Art offenes Kollektiv, zu dem auch immer wieder neue Leute mit neuen Ideen hinzustoßen können. Dadurch befinden wir uns in einem Prozess ständiger Überraschung und spielerischen Lernens“, schwärmt DJ Panko vom familiären Projektcharakter der Kapelle.

Die Früchte dieser Annäherung sind bei den Ojos de Brujos, den „Augen des Hexers“, ähnlich wie bei Macaco und Dusminguet, vor allem live gut zu beobachten. Trotz ihrer relativ kurzen Bandgeschichte können Ojos de Brujos auf eine stolze Liste von zahlreichen Konzerte im In- und Ausland zurückblicken, die allesamt zu turbulenten Partys gerieten, auf denen sich handgemachte und elektronische Sounds mühelos mit spontaner Improvisation vertrugen. Und immer kann es bei diesen Anlässen passieren, dass sich irgendein Musiker einer befreundeten Band hinzugesellt oder sich das gesamte Orchester mit seinen Instrumenten ins Publikum wirft.

Das Patchanka-Prinzip

Von der mitreißenden Energie des Patchanka-Prinzips, für das Mano Negra einst bekannt waren und für das sie bis heute als Vorreiter gelten, ließen sich vor vielen Jahren schon viele Bands in Lateinamerika anstecken. Heute finden sich die Spuren der „Schwarzen Hand“ nicht nur im Sound des Barrios von Barcelona, sondern auch im tropischen Crossover-Ska vieler Bands in Lateinamerika: Eine Grundlage zur transatlantischen Annäherung.

Auf Schleichwegen rücken das spanische Amerika und das Mutterland, durch die koloniale Vergangenheit noch immer kulturell verbunden, so wieder näher zusammen. Schon knüpfen Musiker aus Barcelona persönliche und musikalisch greifbare Fäden wie etwa Dani Macaco, der Los de Abajo, einer gleich gesinnten Gruppe aus Mexiko City, für deren neuen Platte als Produzent zur Seite stand.

Überschattet wurde die Annäherung zwischen den verschiedenen spanischsprachigen Alternativszenen kürzlich allerdings durch einen tödlichen Unfall: Als er auf der Bühne mit einem ungesicherten Kabel in Berührung kam, erlitt Carlos Rivolta, der argentinische Bassist von Dusminguet, ausgerechnet beim letzten Gig einer ausgedehnten Lateinamerika-Tour in Mexiko City einen so schweren Stromschlag, dass er an den Folgen starb. Auch die Trauer über den tragischen Tod des Musikers verbindet nun die beiden Szenen, über den Ozean hinweg.