Eins, zwei, drei – lächeln!

Europäer vor Sehnswürdigkeiten sind beliebte Motive der Chinesen, als Beimischung für das Familienalbum. Aber auch eine Karriere als Fotomodell steht Europäern in China offen

von RASSO KNOLLER

Chinesen fotografieren gern. Vor allem Freunde oder Familienangehörige vor Sehenswürdigkeiten. Deswegen stößt der europäische Tourist auf Verständnislosigkeit, wenn er einen berühmten Tempel, eine malerische Marktszene oder eine atemberaubende Landschaft ohne die eigene Verwandtschaft im Vordergrund ablichtet.

Das Interesse am Fremden endet aber nicht an diesem Punkt. Der ist mit seinem sonderbaren Aussehen selbst eine umschwärmte Sehenswürdigkeit und damit ein hervorragendes Motiv fürs heimische Fotoalbum. Natürlich nicht für sich allein genommen, aber als „Beimischung“ zu einem Familienbild eignet er sich ausgezeichnet.

Grundvoraussetzung für eine Karriere als Hobbyfotomodell ist allein „westliches Aussehen“. Ist man dann noch blond und groß – die letztgenannte Bedingung erfüllt nach chinesischem Verständnis fast jeder Europäer – darf man sich über besondere Aufmerksamkeit freuen. Wer den chinesischen Freizeitfotografen eine wirkliche Freude machen will, sollte sich vor seiner Reise einen Vollbart wachsen lassen. Ein dichter Bartwuchs ist bei Männern in China ohnehin selten anzutreffen und zudem ein Zeichen von Reife, das allein alten Männern vorbehalten ist. In früheren Zeiten war das Tragen eines Bartes beispielsweise erst dann erlaubt, wenn ein Enkelkind geboren war. Da es Chinesen schwer fällt, das Alter von Europäern zu schätzen, dürfen sich Bartträgern aber nicht wundern, wenn sie von Einheimischen für Großväter gehalten werden.

Je weiter man sich von den Großstädten entfernt, desto exotischer wirkt man und desto gefragter wird man als Fotomotiv. Aber auch in Schanghai oder Peking gibt es genügend chinesische Touristen vom Lande, die einen als Fotomodell „buchen“.

Je nach Temperament des Fotografierenden fällt die Aufforderung, Modell zu stehen, fordernd oder zurückhaltend schüchtern aus. Da wird man vom Familienoberhaupt schon mal entschlossen aufs Familienfoto beordert, es kann aber auch passieren, dass einem schüchterne Teenager erst lange tuschelnd hinterherlaufen, bevor sie dann endlich verlegen kichernd um eine Fotoerlaubnis nachsuchen.

Auf jeden Fall muss immer jeder aufs Bild. Erst ein Foto mit dem Papa, dann der Mama und schließlich mit dem Kind und zum Schluss mit allen zusammen … immer den Arm freundschaftlich um den exotischen Besucher gelegt. Auf diese Weise lernt auch der sprachunbegabteste Tourist schnell die chinesischen Worte für „eins, zwei, drei“. Üblicherweise gibt man so im Reich der Mitte den Startschuss zum Foto … und bei „drei“ wird dann gemeinschaftlich gelächelt.

Im Laufe eines längeren China-Aufenthalts lernt man die strenge Ein-Kind-Politik der Regierung schätzen. Seit einiger Zeit schon erlaubt sie ihren Untertanen nur noch einen Nachkömmling. Ganz abgesehen davon, dass das wegen der wirklich beengten Wohnverhältnisse in China durchaus vernünftig scheint, hat es für den Besucher einen anderen unschätzbaren Vorteil: Er muss sich in der Regel nur mit einem Kind fotografieren lassen!

Ist man erst mal als Motiv entdeckt, nimmt die Zurückhaltung aller Umstehenden schlagartig ab und man muss so lange posieren, bis auch wirklich jeder den sonderbaren Europäer fürs Familienalbum abgelichtet hat. Und das kann dauern.

Was für den Touristen nach anfänglichem Stargefühl vielleicht lästig werden mag, kann für so manchen in China lebenden Ausländer durchaus Vorteile haben. Die chinesische Werbeindustrie hat nämlich inzwischen erkannt, dass sich Produkte besser verkaufen lassen, wenn man für sie mit europäischen Gesichtern wirbt. In vielen Zeitschriften für Aussiedler werden immer wieder Fotomodelljobs angeboten.

Und was das Beste ist: Jeder hat eine Chance, denn auf ein makelloses Modellgesicht kommt es gar nicht an. Wichtig ist allein der europäische Gesamteindruck.