Techno, Glück und viel Pipi

■ Brandneu, jetzt auch in Bremen: Mit Boxen vollgeladene LKW rollen durch die Stadt

Fensterscheiben klirren, Tassen hüpfen, völlig gesunde Menschen bekommen Herzrhythmusstörungen, und die Katze hockt längst unterm Sofa. Endlich bekommt Bremen, was Berlin schon seit 13 Jahren hat: Eine Techno-Parade, die die Organisatoren Kolja Beckmann und Marcel Strömer „Vision-Parade“ getauft haben. Wer kein Techno-Fan ist, sollte es am 22. Juni tunlichst vermeiden, am Weserufer zwischen Stadion und Martinistraße spazierengehender Weise Erholung zu suchen. Denn dort rollen die 30 „Trucks“ auf dem Osterdeich entlang, im Schlepptau viele zuckende junge Leute mit bunten Haaren.

Wie Strömer sich die Bremer Parade vorstellt? „So ähnlich wie in Zürich. Das ist da total niedlich, eher ein Jugendstraßenfest. Da gehen die SchülerInnen morgens noch schnell zum Frisör und lassen sich die Haare färben.“

Organisator Strömer hofft auf 100.000 Techno-Begeisterte. „Bei schönem Wetter ist das realistisch. Wenn die 100.000 kommen, bleibt es überschaubar.“ Zahlenschätzungen gehen allerdings deutlich auseinander, je nachdem, wen man fragt. Andrea Freudenberg, stellvertretende Ortsamtsleiterin im Bezirk Mitte kann es zwar kaum schätzen, rechnet aber – und es klingt mehr nach hoffen –, dass nach Bremen „ein paar weniger kommen als nach Hamburg“. Der Beirat hatte zwar im Endeffekt der Musik-Veranstaltung zugestimmt, aber Bedingungen genannt. So müssen die Organisatoren dafür sorgen, dass der Müll verschwindet, dass mindestens 100 Chemieklos den Paraden-Weg säumen und dass die Beats per Minute eine bestimmte Lautstärke nicht überschreiten. Und selbst wenn Strömer und Beckmann es schaffen, die Auflagen einzuhalten, bleibt den ViertelbewohnerInnen noch ein ungutes Gefühl. „Schon bei Werder-Spielen ist hier alles extrem vollgeparkt. Und ob die Leute die Toiletten benutzen, ist noch ein ganz andere Frage“, sinniert Freudenberg.

Klaus Sondergeld von der Bremen Marketing GmbH (BMG) sieht das Ereignis ganz anders. Schon jetzt finanziert die BMG Anzeigen in Szene-Magazinen und in Stadtzeitschriften, um die Bremer Vision zu bewerben, immerhin mit einem Budget von 80.000 Euro. Sondergeld, offenkundig kein Spezialist auf dem Gebiet dieser Musikrichtung – „Wie heißt das noch mal? Techno und Dancefloor?“ – hat dabei vor allem ein politisches Anliegen: „Wir wollen jungen Leuten zeigen, dass Bremen nicht nur für die über 45-Jährigen attraktiv ist.“ Und: „Die Konkurrenz zwischen den Städten um Studierende wird größer.“ Aber obwohl der Bremer Maketing-Chef sich über die Realisierung von Visionen freut, glaubt er eher an 10.000 statt an 100.000 BesucherInnen.

Interessant könnte der Abend des 22. Juni werden: Wenn in den Wallanlagen herumirrende Techno-Jünger auf Besucher der „200 Jahre Wallanlagen“-Feierlichkeiten treffen. Die einen in leise beschaulicher Stimmung, die anderen ausgepowert oder hochgepusht auf dem Weg vom Ende der Parade in Richtung Stadthalle, wo der abendliche „Vision Park“ den Abschluss eines durchtanzten Tages bieten soll.

Sind Techno-Paraden nicht längst ein alter Hut? Auf keinen Fall, findet Strömer: „Wenn die Leute die Veranstaltung für einen Abklatsch hielten, würden sie nicht kommen.“ Angeblich würden Paraden in Hamburg und Hannover sogar noch wachsen. Allerdings hätten die Münchner mittlerweile aufgegeben.

Die Macher der Vision-Parade hatten einst wirklich eine Vision: So sah Organisator Kolja Beckmann vor seinem inneren Auge eine Parade an Rathaus und Roland entlang über die Obernstraße ziehen. Die Realität ist anders: Die Entscheider vom Amt für Straßen und Verkehr haben es verhindert. Aber Beckmann weiß sich und die Massen der Techno-AnhängerInnen zu trösten: „Wasser hat auch eine Attraktivität.“ Ulrike Bendrat

Mehr: www.vision-parade.de