Bemühungen um einen Heimatlosen

Im Bettlaken durch den Staatsrat: „Don Quijotes Doppelgänger“ soll die Geschichte der Emigration neu erzählen

Diesen Fremden hätte man vor über 150 Jahren mit Freude eingebürgert. Die Romantiker sahen in ihm einen Wesensverwandten, der in seiner idealistischen Realitätsferne und Mittelaltersehnsucht eigentlich nur ein Deutscher sein könne: Don Quijote de la Mancha. Das ungeheure Identifikationspotenzial, das Miguel de Cervantes’ Romanfigur für die Nachwelt nicht nur hierzulande besitzt, hat den Theatermacher Niksa Eterovic zur Idee für sein neues Projekt inspiriert: „Don Quijotes Doppelgänger“, eine „Theaterreise“ durch Berlin, produziert vom Hebbel-Theater, der Werkstatt der Kulturen und der Theatergruppe WindSpiel.

An drei verschiedenen Orten wird gespielt, beginnend im Deli-Club, dann geht’s mit dem Bus zum Kinosaal des ehemaligen Staatsratsgebäudes und schließlich zur letzten Station, dem Gasometer in Schöneberg. Ungewöhnliche Orte fürs Theater, aber die Auswahl gehört zum Konzept: Es umfasst drei verschiedene Räume und drei Autoren, deren literarische Auseinandersetzung mit der Figur die Grundlage bilden, um sich aus verschiedenen Perspektiven einer sehr deutschen Thematik zu nähern. Thomas Mann hatte sich auf der Schiffsreise in die Emigration mit der Figur beschäftigt und in Anspielung auf Hitler einen „Don Quijote der Brutalität“ entworfen. Im Deli wird daraus eine Performance über Emigration, die Darsteller sitzen auf Holzkisten und alten Koffern, eine Thomas-Mann-Figur (Yilmaz Atmaca) zitiert aus dessen Reisetext und man spielt Szenen aus Cervantes’ Roman nach. Don Quijote als Urbild des heimatlosen Emigranten.

Im Staatsratsgebäude sind Ludwig Tieck als Cervantes-Übersetzer und die fatale Rückwärtsgewandtheit der politischen Romantik Thema, versinnbildlicht durch den Spielort – hier blieb Realitätsferne bis zum bitteren Ende Staatsphilosophie. Die Kulisse des riesigen Gasometers ist schließlich der Ort für den postideologischen Ausblick in die Zukunft mit Jorge Luis Borges.

Bei so viel Programmatik, die sich Eterovic zusammen mit Andreas Freudenberg und Harald Harzheim vorgenommen hat, ist die szenische Umsetzung freilich ein gewagter Balanceakt. Der Ehrgeiz, sich künstlerisch der komplexen Thematik zu nähern, lässt die aufwändige Performance zur mit Symbolik und Anspielungen überfrachteten Deutschstunde werden. Die spielerische Gestaltung kann mit der theoretischen Absicht, die im Begleittext ausführlichst dargelegt wird, nicht mithalten. Die Darstellung der Emigrantenüberfahrt gerät mit fast rührend naiven Spielszenen zur folkloristischen Veranstaltung, die unentschieden zwischen Abstraktion und holprigem Realismus hin und her schwankt. Im Staatsratsgebäude müht man sich, den Raum zu nutzen, bis man alle Ecken irgendwie bespielt hat, und agiert dabei mit so gänzlich ironiefreiem Pathos, einschließlich Bettlakenkostümierung und melancholischer Cellomusik (Sonny Thet), dass man der gescholtenen rückwärts gewandten Romantik sichtlich selbst erliegt. Im Gerüst des Gasometers wird das „postmoderne Spiel der Bilder“ mit Fackeltragen und sphärischer Musik vollends zum esoterischen Kitsch.

Da hilft es auch nichts, dass alles furchtbar gut gemeint ist: Das Theater, das sich als „Schmelztiegel“ verschiedenster kultureller Einflüsse versteht, will nichts weniger als die gesamte „europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts“ behandeln. Im Programmtext heißt es, dass Eterovic als nächste Projekte die Odyssee und den Ulysses plant. Vielleicht kommt dann gleich die ganze Weltgeschichte dran, die fehlte nämlich noch.

CHRISTIAN BERNDT

„Don Quijotes Doppelgänger“, bis 26. 5. ind 28. 5.–2. 6., 18 Uhr, Club „Deli“ an der Schillingbrücke