wir lassen hören
: WM-Flüchtling Mehmet Scholl kompiliert lieber

Auf dem Sonnendeck

Lange Zeit gehörte Mehmet Scholl zu den absoluten Teen-Idolen des deutschen Fußballs. Es ist noch nicht weit her, da wurde der Bayern-Spieler am Trainingsplatz von jungen Mädchen plakativ aufgefordert: „Scholli, fick mich!“. Selbst als der Scholli schon zu den gestandenen Kickern auf dem Feld gehörte, diente er immer noch als Coverstar für die Teenagerpostille Bravo. Doch nun neigt sich seine Karriere dem Ende zu, nicht einmal die Weltmeisterschaft in Japan und Korea macht er mehr mit.

Seither rätselt die geschockte Fußballanhängerschaft in Deutschland über das Warum, wo doch beispielsweise sein Bayern-Kollege Giovane Elber zu Fuß bis nach Japan laufen würde, wenn er nur mitspielen dürfte. Die Antwort des Verletzungspechlers war eindeutig: Es ging nicht genug vorwärts mit der Genesung. Mehmet Scholl rekonvalesziert nicht.

Dafür kompiliert er. So jedenfalls steht es auf einer CD, die mit der aus der Prä-Rock-’n’-Roll-Ära stammenden Fußballerbinse „Vor dem Spiel ist nach dem Spiel“ untertitelt ist. Es fällt auf, dass der wohl lässigste Bayern-Spieler auf dem Plattencover schon nicht mehr nach vorne, sondern zur Seite blickt. Auch wenn er in Trainingsjackenkluft steckt: Eine gewisse Skepsis mag man in seinem Gesichtsausdruck erkennen, auch die lustlos in den Hosentaschen steckenden Hände zeugen nicht von Vorfreude auf eine WM. Ob da seine Verletzungssorgen durchschimmern oder die Aufstellungssorgen für eine ordentliche Songauswahl, lässt sich schwer sagen.

Zumindest ist Mehmet Scholl nicht der erste Kicker, der außer den Ball auch die Platte rund sein lässt, ohne deshalb gleich selbst zu singen, wie es die Herren Beckenbauer oder Müller, Gerd, taten. Auch Scholls Nationalelf-Kollegen Lars Ricken und Oliver Bierhoff waren bereits auf die Idee gekommen, sich einfach bekannte Hits zu nehmen und dafür ihren prominenten Namen zu geben. Die Platten nannten sie dann „Hot Shots“ oder „Ich steh’ auf Rock“. Der Ausflug des Mehmet Scholl ins Musikbiz ist also nichts extrem Besonderes, wäre da eben nicht die WM-Absage zur selben Zeit. Gibt es gar einen Zusammenhang? Lässt sich aus der Zusammenstellung seiner Lieblingssongs irgendetwas herausdeuten. Was will uns Mehmet Scholl mit dieser CD vielleicht sagen?

Als er nach den Gründen für seinen WM-Verzicht gefragt wurde, hatte er geantwortet: „Ich bin keine 20 mehr, sondern bald 32.“ Das merkt man in der Tat nicht nur an seinem Verletzungspech, sondern auch an seiner Compilation. Nix mit Bravo-Kuschelrock, das Scholl’sche Kompilieren endet vielmehr mit einem erfreulichen Ergebnis für alle Freunde des gepflegten Gitarrenspiels. Beim Zusammenstellen seiner Lieblingslieder bewies der geschickte Leichtfuß durchaus jene Treffsicherheit, die Rudi Völler gern auf dem Fußballplatz gesehen hätte. Offenbar hat Mehmet Scholl seinen Musikgeschmack nicht von der Halbzeitmusik in den meisten Fußballstadien oder von offiziellen Bayern-München-Weihnachtsfeiern verhunzen lassen. So respektable Bands wie Tocotronic, Coldplay, Stereophonics, Beta Band und The Notwist laden eher weniger zum Mitgrölen ein. Natürlich sind auch die Sportfreunde Stiller vertreten, die gute Freunde des Bayern-Kickers sind und ihm auch den Weg zum Label Blickpunkt Pop wiesen.

Aber zurück zum Blickpunkt Sport und zum WM-Verzicht des Kompilierers. Wenn es ein verräterisches Lied auf der CD gibt, dann ist es das von Peter Licht, in dem er singt: „Wenn ich nicht hier bin, bin ich auf’m Sonnendeck“. Die US-Röhre Anastacia, Vortragsluder der offiziellen WM-Hymne „Boom“, hat es in seine Songauswahl übrigens nicht geschafft. Die Frau mag Mehmet Scholl nämlich überhaupt nicht, musikalisch und auch sonst. Vielleicht ist das der Grund, warum er trotz Rudis Drängen und Bitten partout nicht zur WM mit wollte. Anastacia und ihrem Balla-Song wäre er dort nämlich nicht entkommen. GUNNAR LEUE

„Mehmet Scholl kompiliert – Vor dem Spiel ist nach dem Spiel“ (CD, Blickpunkt Pop)