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: Sport und Gleichberechtigung

„Bionische Geschöpfe“

Wenn sich ein Junge im Sportunterricht anhören muss, er werfe wie ein Mädchen, ist das kein Zeichen von Emanzipation, sondern eine Beleidigung. So werfen Mädchen, heißt es: Statt den Arm dynamisch zu schwingen, klappen sie bloß die Hand auf die Schulter, der Ellenbogen wird spitz nach vorne geschoben und der Ball kaum zehn Meter weit katapultiert. Wenn ein Junge nicht schleudert wie Jan Zelezny, ist er meist unten durch.

Es ist überflüssig zu betonen, dass werfende Frauen nicht immer aussehen wie ein Klappmesser auf zwei Beinen. Doch das Beispiel bringt ein Problem auf den Punkt, dem die amerikanische Autorin Colette Dowling ihr neues Buch widmet: der Benachteiligung von Frauen im Sport. In „Hürdenlauf“ bemüht sie sich eisern, den „Mythos der weiblichen Schwäche“ zu knacken.

Das Dilemma begann im 19. Jahrhundert: Sportliche Betätigung war Frauen strengstens untersagt. Zum einen gehörte es sich nicht für eine feine Dame, auch nur in die Nähe eines selbst produzierten Schweißtropfens zu gelangen – was in engen Röcken und Korsetts vermutlich nicht allzu schwierig gewesen wäre. Zum anderen setzte sie nach damaligen Erkenntnissen auch ihre Gesundheit aufs Spiel. Deshalb empfahlen Ärzte jungen Mädchen, „das Jahr vor und zwei Jahre nach der Pubertät ruhend zu verbringen“. Vor gynäkologischen Schäden wie einer „Lageverschiebung der Gebärmutter“ wurde gewarnt. Überhaupt: Durch das Wirken im Haushalt bekämen Frauen doch ausreichend Bewegung, meinte eine amerikanische Ärztin noch 1889.

Colette Dowling hat kuriose Beispiele aus den Zeiten zusammengetragen, als Sport für Frauen tabu war, und ordentlich mit Fußnoten belegt. Nichts Neues allerdings für diejenigen, die vor sieben Jahren Manuela Müller-Windischs Buch „Aufgeschnürt und außer Atem“ gelesen haben, in dem die weibliche Sportgeschichte vom viktorianischen Zeitalter bis heute aufgerollt wurde. Colette Dowling kann sich jedoch ihren bissigen Unterton gegen Männer – die Frauen ja schließlich ihre körperliche Eingeschränktheit vorgeschrieben hätten – auf fast keiner Buchseite verkneifen. Kein Wunder, ist sie doch eine der langzeitaktivsten Feministinnen Amerikas und vor zwanzig Jahren mit dem „Cinderella-Komplex“ weltweit bekannt geworden.

So feiert sie gebührend die Befreiung der Frauen aus der körperlichen Unmündigkeit. Sie wollten den Männern nicht immer nur das Handtuch reichen, sondern sich selbst ertüchtigen. Und an Wettkämpfen teilnehmen. Die Lizenz zum Leistungssport mussten sich die Damen allerdings hart erarbeiten, galt doch lange die Anweisung des Olympiabarons de Coubertin, bei öffentlichen Wettkämpfen müsse die Teilnahme von Frauen strikt verboten sein. Doch mit der Gründung der „Fédération Sportive Féminine Internationale“ gelang es den Sportlerinnen 1922, die ersten Olympischen Frauenspiele durchzuführen. Danach war der Weg auf den Olymp frei, und im Laufe der Jahre wurden ihnen immer mehr Disziplinen zugänglich.

Die Ungerechtigkeit war aber noch lange nicht von den Sportplätzen gefegt. Colette Dowling zeigt auf, wie schwer es Spitzensportlerinnen schon immer hatten, zugleich als Frau und Leistungsträgerin akzeptiert zu werden. Die Tennisspielerin Martina Navratilova zum Beispiel wurde von Kommentatoren als „bionisches Sci-fi-Geschöpf“ bezeichnet, bei dem eine „Chromosomenschraube“ locker sein müsse. Und trotz beargwöhnter Leistungen: Auch heute hinkt der Frauen- dem Männersport im Ansehen oft noch hinterher. Nicht nur in der Einschätzung eines US-Journalisten, der seinen Hohn über die amerikanische Basketballliga der Frauen ausgoss: „Die WNBA verhält sich zur NBA wie die Paralympics zur Olympiade.“ Angesichts solcher Äußerungen kann man über den etwas nervigen Berufsfeminismus Dowlings („Solange wir körperlich unterdrückt bleiben, können wir nicht frei sein.“) und über ihr Stil-Gemenge aus Populärwissenschaft und Ich-Erzählung etwas lockerer hinwegsehen. JUTTA HEESS

Colette Dowling: Hürdenlauf – Frauen, Sport und Gleichberechtigung“. Fischer, 296 Seiten, 9,90 Euro