Partei der Bessernörgler

Was tun gegen Rechtspopulisten? (5): Die FDP wandelt sich zur neuliberalen Eventpartei. Sie verliert dabei ihre altliberalen und seriösen Wesenszüge

Die Grünen als gleichsam natürliche Kontrastpartei könnten wieder an Kontur und Resonanz gewinnen

Die FDP verändert sich. Sie verliert ihre altliberalen, honoratiorenhaften, ein wenig elitären, dabei aber auch seriösen Wesenszüge. Der Typus Kinkel/Gerhardt/Hamm-Brücher/Lambsdorff dünnt nach unten aus; der Typus Möllemann/Westerwelle/Kubicki ist unzweifelhaft im Vormarsch. Das vollzieht sich in schnellem, nachgerade atemberaubendem Tempo. Kleinparteien sind eben rasch umzukrempeln und ganz neu zu navigieren. Exakt das ist die Absicht der Westerwelles und – deutlicher, schärfer, härter noch – der Möllemänner. Sie wollen ihre Partei in ganz neue Wählerschichten hineinstoßen. Sie wollen wirklich eine andere Partei.

Fasziniert betrachteten sie schon seit langem, wie in einigen europäischen Ländern die liberalen Schwestern in den Neunzigerjahren mit den einst großen sozialdemokratischen und christdemokratisch-konservativen Parteien gleichgezogen haben: so in Belgien, in den Niederlanden, in Dänemark. Sie haben aufmerksam verfolgt, wie neue Protestparteien der bürgerlichen Mitte seit den Achtzigerjahren zu den Gewinnern des Parteienwettbewerbs wurden: so die skandinavischen Fortschrittsparteien, die dänischen und schweizerischen Volksparteien. Und auch wenn unsere freidemokratischen Himmelsstürmer es früher öffentlich immer empört geleugnet haben, es hat sie stets ungeheuer beeindruckt, wie der Österreicher aus dem Bärental, der famose Herr Haider, seine sieche liberale Kleinpartei zu einer breiten Sammlungsbewegung des Protests aufmöbelte, die Altparteien in immer neuen Kampagnen virtuos vor sich hertrieb und die politische Agenda nach Belieben bestimmte.

Und all diese Parteien haben eins gemeinsam: Sie agieren nicht mehr, wie früher die Altliberalen, als elitäre Interessenvereine der „Wohlhabenden“, sondern als Protestvehikel der „einfachen Leute“. Sie sind allesamt Parteien der antiökologischen Gegenreform, Kampftruppe der Autofahrer, der Staatsverdrossenen, der Steuerverweigerer, der Nichtpostmaterialisten, der Verächter der politischen Korrektheit, der mittel- und unterschichtigen Empörtheiten über die „politische Klasse“, die „Bürokratie“, das „Eurokratentum“. An ihrer Spitze steht ganz überwiegend der Kraftmeier, der Rambo, der Held all derjenigen, die gern selbst stark wären (es aber natürlich innerlich nicht sind) und die in jenen zurückliegenden Jahren so furchtbar litten, als die Grünen noch den Ton angaben, die Frauenquote angesagt war, die Städte mit Fahrradwegen durchpflastert wurden, als man sanft, multikulti, nachdenklich, ein wenig pessimistisch und skrupulös nachhaltig zu sein hatte. Ein solcher Held einer solch neuliberal-(rechts)populistischen Partei, gleichsam der Revolte gegen die Revolte, könnte in Deutschland ohne Zweifel Jürgen W. Möllemann sein, sehr viel eher jedenfalls als der doch immer etwas zaudernde und lavierende Guido Westerwelle.

Da diese neuliberalen Parteien des Protests allesamt organisations- und mitgliederschwach sind, müssen sie Medienparteien sein. Da sie über gewachsene Loyalitäten nicht verfügen, brauchen sie ständig das mobilisierende Thema, die aggressive Zuspitzung, die medial transportierbare Kampagne. Selbst als Regierungspartei muss dieser Typus des populistischen Neuliberalismus einen ungeheuren Budenzauber veranstalten, sonst ist er rasch weg vom Fenster. Insofern sind die Neuliberalen Eventparteien, aber sie ideologisieren und polarisieren auch scharf, repolitisieren durchaus die Parteienkonkurrenz.

Europaweit sind diese Parteien gegenwärtig die Favoriten bei den unter Dreißigjährigen. Genauer: bei den Männern unter dreißig. Noch genauer: bei jungen Männern aus den selbstständigen Mittelschichten und der Arbeiterschaft. Soziologisch unterscheidet sich der Neuliberalismus also markant vom rein bürgerlichen Altliberalismus. Insofern hat er auch mit dem brav-bräsigen Nationalliberalismus der 1950er- und 1960er-Jahre nichts zu schaffen. Der Neuliberalismus ist in seinem Wähleranhang – nicht in seinen Parlamentsvertretungen – proletarischer. Und er agiert dementsprechend politisch plebejischer, härter, militanter.

Der populistische Neuliberalismus schert sich nicht um Asylansprüche oder Minderheitenschutz

Die Erfolgsstory dieses Typus ist seit zehn bis fünfzehn Jahren immer gleich. An die Spitze des populistischen Neuliberalismus gelangt der Eventtribun, der sich und seine Partei stets als Mann des Volkes durch gezielte Tabubrüche und Erlebniskampagnen in den Schlagzeilen und Scheinwerferlichtern hält. Er ist der Matador der politics by entertainment. Programmatisch wird dieser teleplebiszitäre Charismatiker immer unscharf bleiben. Er weiß, wogegen er jeweils ist; im Übrigen protegiert er das Cash-Denken der traditionslosen Neureichen und kulturell entwurzelten unteren Schichten. Dazu rochieren Parteien des Typus Möllemann von einer Empörungskampagne zur nächsten, von einem mobilen Event zum anderen. Denn ihre Anführer müssen Virtuosen der permanenten Attacke, der fortwährenden Zuspitzung, der atemlosen Ereignissteigerung sein.

Man kann damit zweifellos Wahlen gewinnen. Man kann so auch einen erfolgversprechenden Ausweg aus der langen Krise des überkommenen Honoratiorenliberalismus, aus dem Niedergang der Welt der Krämer und Gebildeten finden. Man kann damit auch die neuen Heimatlosen aus den wegschmelzenden sozialdemokratischen und christdemokratischen Milieus einfangen. Und man hat zweifellos ein zielgruppengerechtes Angebot für die Generation von Internet und New Economy, aber auch für die Randständigen, Abgehängten, die Schmollenden, Nörgler und Protestwähler, für alle also, die nicht mehr in feste Substrukturen, stabile Wertegemeinschaften und kohärente Politikorientierungen integriert sind. Der Möllemann-Liberalismus verheißt dadurch Zielmarken, die der honorable, verlässliche, integre Altliberalismus, gleichviel ob links- oder nationalliberal, nie erreichen konnte und könnte. Das eben ist das Substrat für die Möllemanie, die da, ob ablehnend oder zustimmend, die Republik gegenwärtig erfasst hat.

Natürlich: Ob das jetzt auch in Deutschland alles so kommen wird, ist immer noch fraglich. In der FDP gibt es schon noch beachtliche Kräfte altbürgerlicher und besonders gouvernementaler Mentalitäten, die sich gegen eine politische Verformung zum Protest- und Kampagnenpopulismus sperren. Aber das Potenzial in der gesellschaftlichen Mitte und im sozialen Unten ist dafür da; und man wird sehen, ob die Möllemänner und ihre bislang eher verdeckt operierenden young boys des populistischen Neuliberalismus das Zeug dazu haben, es – vielleicht ja auch in einer ganz neuen Partei – zu aktivieren.

Verlierer wären in einem solchen Fall unweigerlich die letzten Reste der Bürgerrechtsliberalen in der FDP. Der populistische Neuliberalismus schert sich nicht im Geringsten um Asylansprüche, Abschiebepraktiken oder Minderheitenschutz; ganz im Gegenteil, wie derzeit unverhüllt deutlich wird. Verlierer könnten allerdings schnell auch die Sozialdemokraten werden, auch wenn sie jetzt die Möllemannisierung nicht einmal ungeschickt zum Anlass nehmen, ihre müden, lange passiv gebliebenen Anhänger und Aktivisten wieder (zumindest für den Wahlakt am 22. September) zu reaktivieren. Doch der populistische Neuliberalismus wildert dort, wo er ungehemmt und mit scharfen Parolen auftritt, munter auch und ganz besonders in den vernachlässigten Randbereichen der sozialdemokratischen Arbeiterschaft. Er kann hier Wählerprozente sammeln – und sie dann mit der anderen allein nicht mehrheitsfähigen bürgerlichen Partei regierungsfähig addieren. So wie es ja unlängst in Österreich, dann in Dänemark und jetzt erneut in den Niederlanden geschehen ist.

Auch wenn es FDPler früher empört geleugnet haben, der Erfolg des Herrn Haider hat sie stets beeindruckt

Zu den Verlierern müssen hingegen im Übrigen keineswegs, wie in den letzten Monaten angesichts des Aufschwungs der FDP vermutet, die Grünen zählen. Wo immer in Europa der Macholiberalismus nach vorn stürmte, da gewannen die Grünen als gleichsam natürliche Kontrastpartei dann rasch wieder an Kontur und Resonanz. Denn schließlich besteht die Mitte der modernen Gesellschaften nicht ausschließlich aus verunsicherten Männern, beleidigten Autofahrern, nörgelnden Wohlstandschauvinisten, verdrossenen Jungarbeitern, tumben Antisemiten und vertrottelten Dauerguckern von Talkshows.

FRANZ WALTER