Das dritte Ende des Kalten Krieges

Präsident Putin verbreitet Illusionen über die „gleichberechtige Rolle“ Moskaus im neuen „Nato-Russland-Rat“

GENF taz ■ Geschichte wiederholt sich. Und kurz ist das Gedächtnis ihrer Akteure wie der zahlreichen Medien, die den heutigen Nato-Russland-Gipfel mit dem abgedroschenen Vokabel „historisches Ereignis“ feiern.

Die zweieinhalbstündige Veranstaltung auf dem „aus Sorge vor Terranschlägen“ scharf bewachten Luftwaffenstützpunkt Practica di Mare bei Rom verdient dieses Attribut ebenso wenig wie die letztwöchige Rede von US-Präsident Georg Bush im Deutschen Bundestag. Bereits zum dritten Mal in zwölf Jahren wird heute das „Ende des Kalten Krieges“ verkündet und eine neue Ära der Kooperation zwischen der Nato und ihrem einstigen Hauptfeind beschworen.

Im November 1990 besiegelten 35 Staats-und Regierungschefs auf dem Pariser Gipfel der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit“ (KSZE) das „Ende des Zeitalters von Jalta und Potsdam“. Laut der in Paris feierlich verabschiedeten „Charta für ein neues Europa“ sollte diese (seitdem in OSZE umbenannte) einzige gesamteuropäische Institution zum wichtigsten Rahmen werden für die Behandlung aller relevanten (Konflikt-)Fragen auf dem eurasischen Kontinent und damit auch für die Beziehungen zwischen dem Westen und Moskau.

Bundeskanzler Helmut Kohl pries die KSZE 1989 noch als „Herzstück der europäischen Architektur“. Doch es blieb bei allen wesentlichen Beteiligten bei den hehren Absichtserklärungen. Die führenden westlichen Staaten setzten weiterhin auf die Institution Nato. Und Russland macht mit dem Krieg in Tschetschenien deutlich, dass es zentrale Normen der OSZE nicht einzuhalten gewillt ist.

Das zweite „historische Ereignis“ war die Unterzeichnung der ersten bilateralen Vereinbarung zwischen der Nato und Russland vor fünf Jahren, am 27. Mai 1997, ebenfalls in Paris. Mit der „Gründungsakte über die gemeinsamen Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Russischen Föderation und der Nato“ wurde die westliche Militärallianz auch von Russland de facto als wichtigste Sicherheitsinstitution – zumindest für Europa – anerkannt. Moskaus Hoffnung auf Mitsprache im damals neu geschaffenen „ständigen gemeinsamen Rat Nato-Russland“ wurden allerdings enttäuscht. Schon drei Monate nach Gründung zog die Nato ohne Rücksicht auf russische Bedenken mit der Aufnahme Polens, Ungarns und Tschechiens die erste Runde ihrer Ausbreitung nach Osteuropa durch.

Mit dem neuen „Rat der 20“ (19 Nato-Mitglieder und Russland“), der auf dem heutigen Gipfel aus der Taufe gehoben wird, soll die Kooperation auf eine neue, „gleichberechtigte“ Ebene gehoben werden. Das zumindest verkünden die Nato und Wladimir Putin unisono, und mit dieser Aussicht versucht der russische Präsident, die innenpolitischen Kritiker seiner Politik der Annäherung an die Allianz zu beschwichtigen.

Mit dem Text des Abkommens lässt sich die Behauptung künftiger Gleichberechtigung kaum belegen. Alle bisherigen „internen“ Angelegenheiten der Nato bleiben weiterhin intern und der Beratung und Beschlussfassung der Vollmitglieder der Allianz vorbehalten. Das betrifft auch die für den Prager November-Gipfel vorgesehene zweite Runde der Osterweiterung um voraussichtlich sieben Staaten.

Welche Themen im neuen „20er-Rat“ mit Russland behandelt werden sollen (genannt werden derzeit u. a. „Terrorbekämpfung“ und „Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen“), muss in jedem Einzelfall zuvor von den Nato-Vollmitgliedern beschlossen werden. Und zwar im Konsens. Wenn Russland im „20er-Rat“ einen Beschluss blockiert, können die Nato-Mitglieder allein entscheiden. ANDREAS ZUMACH