Schuhsohlen und Abflussrohre

■ Die Straßenkinder von „Moleque de Rua“ aus Sao Paulo zeigten Bremer Kids, wie aus Müll die passenden Instrumente werden. Außerdem meinen sie, dass sich die Reichen „ihr Geld in den Hintern schieben“ sollen

Es ist 12 Uhr mittags und in der Kesselhalle drängen sich die Kids auf der Tanzfläche, zappeln, johlen und klatschen – als wären sie bei den Backstreet Boys. Aber das hier ist offenbar viel besser: Grooviger Sound aus traditioneller brasilianischer Musik mit einem guten Schuss HipHop, organisiert von „Bremen für Unicef“, bezahlt mit Landesmitteln.

In Deutschland sind die zehn Männer zwischen 15 und 40 zum ersten Mal. Aber mit jeder Bewegung, mit jedem Ton zeigen sie, dass sie mit Leib und Seele bei der Sache sind: Da klimpert ein Keyboard, die Percussion wummert, der Bass dröhnt, Schuhsohlen bearbeiten eine Plastikrohr-Klangmaschine.

Die Musiker um José Carlos Gomes Ferreira, genannt Duda, die sich gestern von Bremer SchülerInnen feiern ließen, sind Straßenkinder aus Brasilien. Sie nennen sich „Moleque de Rua“ – heißt soviel wie „Rotznasen der Straße“ – und singen über „Liebe, Freundschaft und Hass, so ist unser Leben.“

Mit Stücken wie „Esmola“ (Barmherzigkeit) sagen sie den „Reichen“, dass sie sich „ihr Geld in den Hintern schieben“ sollen. Und weiter im Text: „Ich bin nicht dein Werbegeschenk. Du kannst mir keine Worte in den Mund legen. Meine Stirn ist nicht dein Reklameschild. Ich brauche dein Mitleid nicht.“

Die Instrumente bauen sich die „Rotznasen“ zum Großteil selbst aus Müll zusammen. Wie das geht, zeigten sie nach dem Konzert auch den Bremer Kindern und Jugendlichen. Nach einigen Rhythmus-Übungen mit Trommelstöcken geht es ans Sägen, Bohren und Schrauben.

Im Nullkommanix entstehen so aus Rohren, Schrauben, Metallstücken und – zugegeben – fertig gekauften Trommelfellen kleine Tamburine. Aus leeren Bierdosen, Klebeband und Reis machen die Kleinen Rasseln.

So können die Straßenkids aus Sao Paulo auch der 16-jährigen Antje noch einiges beibringen. Die findet es „cool, was die machen“, und will die Trommel in ihrer Band einsetzen. Auch der 22-jährige Ole will sich „das einfach mal anschauen“, weil er selbst Musik macht. Außerdem hofft er, das Trommelbauen später mal einsetzen zu können, wenn er von Beruf Erzieher ist.

Für Duda hingegen steht der Pädagogische Aspekt eher im Hintergrund. „Moleque de Rua“ sei „ein künstlerisches Projekt, keine Sozialarbeit“. Die Idee entstand 1983. Duda wollte „glücklich sein mit den Menschen, die um mich herum sind“. In seinem vorherigen Beruf als Rechtsanwalt habe er sich unwohl gefühlt. „Die Menschen, denen ich helfen wollte, konnten nicht zahlen, und denen, die zahlen konnten, wollte ich nicht helfen,“ erklärt Duda. Die Musik habe diesen Konflikt gelöst. „Jetzt tue ich das, was mir Spaß macht, und kann indirekt Menschen helfen.“

Das Projekt fand Anklang und umfasst mittlerweile bereits drei Generationen von Straßenkindern, die durch die Welt touren. „Moleque de Rua“ brachten zwei CDs heraus und spielten zwischen 1993 und 1996 etwa 200 Shows in Europa. Das Stück „O Sósia“ (der Doppelgänger) schaffte es 1995 bis in die Europäischen World Music Charts.

Finanziell hat das Projekt für ihn und die Straßenkinder indes kaum eine Veränderung gebracht. „Ist auch nicht so wichtig“, sagt er, denn es gehe vor allem um die „Freude an der Musik“ und darum, dass die Musik den Kindern einen Sinn vermittle. Im Slum von Sao Paulo sind sie geblieben, aber trotzdem „tun sie das, was sie mögen und merken, dass sie selbst etwas wert sind.“ Vivien Mast