braunschweiger informationszeitalter von CAROLA RÖNNEBURG
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Anlässlich nervenaufreibender Erfahrungen, die ich jüngst in Braunschweig machte, beantrage ich, das so genannte Informationszeitalter umzubenennen. Wir wollen fortan vom Nutzlose-Geräte-Zeitalter sprechen. In Braunschweig ging es kürzlich um den Aufstieg in die zweite Bundesliga: Nach neun Jahren Fußballunglück bereitete sich die Eintracht auf die Rückkehr in bessere Zeiten vor. Viel dazwischenkommen konnte eigentlich nicht. Rot-Weiß-Essen, letzter Rivale im Aufstiegskampf, musste sein Spiel gegen Preußen Münster gewinnen; der Eintracht hätte bereits ein Unentschieden gegen Wattenscheid gereicht.

Die Eintracht spielte zunächst rasant nach vorn, war allerdings nicht besonders sicher in der Verteidigung – in der 34. Minute kassierte sie denn auch prompt ein Tor. Zusätzlich kamen beunruhigende Nachrichten aus Münster, und vor allem widersprüchliche. Bestimmt war die Hälfte der 23.500 Zuschauer an diesem Tag mit einem Mobiltelefon ausgerüstet; waren Angehörge dazu verdonnert worden, vorm Radio zu sitzen und jede entscheidende Bewegung Rot-Weiß Essens sofort zu vermelden. Und nun trafen auch Nachrichten aus Münster ein. Unvermittelt wallte eine Woge der Begeisterung durch die Südkurve: 72. Minute, Elfmeter für Münster! Dass der Strafstoß allerdings verschossen wurde, genauso wie der in der 67. Minute für die Gegenseite, bekam kaum jemand mit, und wie es nun wirklich stand, wussten auch nur wenige. Mal machten doppelte Victory-Zeichen die Runde und verbreiteten so das Gerücht, in Münster sei man beim 2:2, dann hieß es wieder, Essen läge mit einem Tor zurück. Die Lage war indes furchtbar: Tatsächlich stand es 2:1 für Essen. Wer verlässliche Informationen hatte, dem stand das Wasser in den Augen; andere schmetterten verzweifelte Anweisungen gen Rasen: „Ihr müsst gewinnen!“ – „Ein Tor, bitte ein Tor, bitte ein Tor“, murmelten die Ruhigeren und wurden religiös. Doch es gab keins, und bald war die offizielle Spielzeit vorüber. In jeder Sekunde konnte der Schlusspfiff ertönen, und dann wäre alle Hoffnung umsonst gewesen. Und genau in diesem Moment der Verlorenheit, in der letzten Minute der unerklärbar langen Nachspielzeit, geschieht das Wunder: Der allerletzte und nach den Erfahrungen der vergangenen Minuten erwartbar erfolgslose Angriff beschert der Eintracht ein Kopfballtor durch Thomas Piorunek. Ein kurzes Stutzen – doch, der Ball hat wirklich gesessen, der Schiedsrichter keine Einwände, und 23.450 Menschen brüllen, dass man es bis nach Münster gehört haben muss.

Gute 40 Minuten später, nach der Pressekonferenz, sehen die Braunschweiger Fans auf der Stadionleinwand den N 3-Spielbericht. Ein Häuflein Glücksrasen in der Hand, erfahren erst jetzt viele, wie knapp Braunschweig am Untergang vorbeigeschrammt ist. „3:1 hat Essen gespielt? Aber es hieß doch immer 2:2!“, sagt einer. „Das hab’ ich auch erzählt bekommen“, sagt ein anderer fassungslos, schließlich habe er ständig zu Hause angerufen. „Und da erklärst du Frauen lang und breit, wie der Videotext funktioniert.“