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Brave New Globe

Stefan Pucher inszeniert „Heinrich IV.“: Während er großräumiges Cinemascope-Theater offeriert, wird das Volk von Zürich befragt, ob es dem Schauspielhaus zusätzliche Kredite bewilligen möchte

Shakespeares Hymne an die geistige Wendigkeiteines Fettkloßes

von JÜRGEN BERGER

Im Bauche des Philosophen findet sich vieles. Ist er ein Genussmensch wie Falstaff, ist da auch viel Luft, aus der sich im Falle ihres Entweichens hübsche Lügengeschichten basteln lassen. Falstaff ist Shakespeares Hymne an die geistige Wendigkeit eines Fettkloßes. Und er ist die traurigste Figur im Vorfeld der Rosenkriege, die das England des 15. Jahrhunderts zerrissen. Bedenkt man, dass der trickreich fabulierende Fettkloß im wohl unbekanntesten Königsdrama Shakespeares vorkommt, hat er es zu großem Ruhm gebracht. Der Grund: In der Weltliteratur gibt es keine vergleichbare Figur, die so trickreich und enthemmt hedonistisch die Freundschaft eines anderen erkaufen will. Und selten benutzt der derart Umworbene so kalt die ihn umgebenden Figuren.

Die Rede ist vom jungen Heinrich, dem Prinzen von Wales und späteren Heinrich V. Er ist die eigentliche Hauptfigur des zweiteiligen Königsdramas, das nach dem Vater des Prinzen, dem schwachen und politisch naiven Heinrich IV., benannt ist und sich wohl eine ganze Nacht hinzöge, inszenierte man es in elegischer Länge. Der Thronfolger zählt zu jenen, die, kommen sie an die Macht, für Eiseskälte im Reich sorgen. „Ich kenn euch alle und will noch ein wenig / Euerem zügellosen Treiben zusehen“, sagt er einmal. Da ist Heinrich fast noch ein Knabe und tut so, als ziehe er lediglich sorglos mit Falstaff durch die Kneipen. In Wirklichkeit allerdings bereitet er sich auf seine Regentschaft vor. Er wird jener König der Engländer werden, der die Franzosen „eingemeindet“.

Es ist also ziemlich raffiniert, dass Stefan Pucher den Jungheinrich seiner Züricher Inszenierung mit Kristina Brons besetzt hat und sie während seiner dreistündigen Annäherung an „Heinrich IV.“ kein lautes Wort sprechen lässt. In diesem androgynen Körper können keine dunkle Gedanken walten – meint man. Und dass dieser zierliche Körper seinen Widersacher, Percy Heisssporn, in der Schlacht um die Macht im Staate niederstreckt, glaubt man auch nicht. Trotzdem geschieht es und genau deshalb ist der Sturz des in allen Kneipen gestählten Falstaff am Ende so tief, wenn der neue König und alte Kneipengenosse ihn verbannt.

Wird „Heinrich IV.“ an Christoph Marthalers Züricher Schauspiel gespielt, gibt es nur einen Falstaff: Josef Ostendorf. Und inszeniert Stefan Pucher, darf man sich wie im Falle seines poppigen „Sommernachtstraums“ am selben Ort und seiner gerade zum Berliner Theatertreffen geladenen Hamburger „Drei Schwestern“ darauf einstellen, dass er sich ein eigenes Stück gebaut hat. Umso überraschender ist, dass Pucher sein großräumiges und symbolisch angereichertes Bildertheater im ersten Teil des Diptychons eher linear und mit relativ wenigen Strichen ablaufen lässt. Die unterschiedlichen Parteien des sich anbahnenden Bürgerkrieges baumeln in der quer gelegten Schiffbauhalle je nach Status und Zugehörigkeit auf Liftsesseln in der Weite des Raumes, als schwebten sie in einem großen Warenlager. Unten auf dem weiten Holzboden projiziert Pucher immer wieder die bewegten Gesichter der Protagonisten und schiebt sie übereinander. Die Projektion sagt uns, nur Machtgeilheit entzweit die Lift-Adligen und eint sie temporär. Insgesamt wirkt das wie eine riesige 3-D-Animation und ist ein derart groß angelegtes Bild, dass es eigentlich die gesamte Inszenierung strukturieren müsste.

Irgendwann allerdings sind die Liftsessel verwaist. Das Geschehen verlagert sich auf den Hallenboden. Je näher die Schlacht rückt, desto bodenständiger wird Pucher, erlaubt sich gleichzeitig allerdings auch immer deutlichere Striche im Text und komponiert das Königsdrama als lyrisches Vexierspiel. Eines der verspieltesten Raumbilder ist schier kindisch: Zum Auftakt der Schlacht gleiten mit Motoren aufgerüstete Liegewiesen-Liegen von außen durch das große Tor der Halle. Da schnurren Helden in Pool-Scootern, als nähmen sie sich zwischen zwei Cocktails den Feind zur Brust. Dann stehen alle in einer langen Reihe frontal zum Publikum und ihr Körper wird zum von Meg Stuart arrangierten Aggressivitätszeichen.

Und mittendrin spricht Falstaff plötzlich seinen berühmten Monolog von der Nichtigkeit jedes aufgeblasenen Ehrbegriffs. Da ruht Josef Ostendorf mit seinem mächtigen Körper inmitten einer Traube müder Krieger, die sich um ihn drängen, als suchten sie Schutz im Schatten des Wortes. „Die Ehre ist nichts als ein gemaltes Wappenschild für einen Leichenzug“, sagt Ostendorf mit sonorer Stimme. Und dann tritt der „Feigling aus Instinkt“ einige Schritte nach vorne und blickt derartig unschuldig ins Publikum, dass all die Züricher in der Schiffbauhalle den Falstaff wohl am liebsten adoptieren würden. Sie sitzen an der Längsfront der Schiffbauhalle, als seien sie Gast in einem mit modernster Technik ausgestatteten Brave New Globe in Cinemascope-Format. Am Sonntag werden sie in einer Volksbefragung abstimmen, ob das Schauspielhaus zusätzliche Kredite erhält und in seiner jetzigen Form überlebt. Die Abstimmung ginge wohl eindeutig zugunsten des Schauspielhauses aus, könnte Ostendorf an jeder Wahlurne stehen und treu in die Gesichter seiner Wähler blicken.

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