Das Vergehen der María Cristina Cabrera

In ihrer Schule mussten sich zwei Kinder einen Stuhl teilen. Die Rektorin schuf Abhilfe – nun ist sie keine Lehrerin mehr

María Cristina Cabrera, eine Lehrerin in Puerto Madryn in der Südprovinz Chubut, wurde Anfang April zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt. Die Richter erkannten ihr den Lehrerinnentitel auf Lebenszeit ab. Ihr Verbrechen: Sie habe Gehälter für nicht existierende Lehrerinnen kassiert.

Das ist nur die halbe Wahrheit der Geschichte. Cabrera schwor, dass sie die 800 Pesos, die sie auf diese Weise erhalten hatte, nicht in die eigene Tasche gesteckt, sondern damit ihre Schule unterstützt habe. Die Frau hatte genug davon, den Staat um Geld für Schulbedarf anzubetteln. Dazu zählten Turnschuhe für ihre Schüler und Schulmöbel, die ihr Kolleg nicht besaß, aber brauchte. Also zückte sie ihre Kreditkarte, besorgte die benötigten Utensilien – und versuchte später die Ausgaben wieder hereinzuholen.

Was sie getan hatte, war ein Vergehen. María Cristina Cabrera stritt das nie ab. Aber sie klagte den Staat an. Wenn sie schuldig sei und man sie verurteile, dann müsse man auch den Staat vor Gericht stellen – denn er komme seinen Verpflichtungen nicht nach.

In der städtischen Schule mit rund 450 Schülern, die sie geleitet habe, berichtete Cabrera, gebe es nicht einmal genug Stühle. Die Schüler müssten sich zu zweit einen teilen oder auf dem Boden sitzen. Sie prangerte an, dass in einem großen Teil des Gebäudes beder Fußboden aus blanker Erde bestehe. Viele Kinder kämen nicht zum Unterricht, weil sie keine Schuhe besäßen.

Die Schulgebäude sehen in Argentinien heute so aus, als habe man sie bereits aufgegeben. Wände und Decken sind einsturzgefährdet, durchlöchert von der Zeit und dem Mangel an öffentlichen Mitteln. In den Toiletten fehlen die Kloschüsseln. Stattdessen teilen sich Hunderte von Kindern und Jugendlichen dunkle Abtritte und Latrinen.

Die vollen Kloaken und die undichten Wasser- und Abwasserrohre verpflichten Lehrer und Schüler zu äußerster Vorsicht, damit sich niemand eine Krankheit wie Hepatitis einfängt. Der stets von Wasser und Urin nasse Toilettenboden ist der beste Nährboden für diese Krankheit ist, daher halten Eltern und Lehrer die Kinder heute immer und immer wieder zu einer Vorsichtsmaßnahme an: Vor dem Gang auf die Toilette die Schnürsenkel der Schuhe festzubinden.

Auch die Ratten, die Kakerlaken und Fledermäuse, die über den Kindern an der Decke hängend schlafen, gehören heute zum selbstverständlichen Personal in Argentiniens Schulen. Gegen sie geht man mit der Giftspritze vor – wenn Geld da ist, um die Kammerjäger zu bezahlen. Ansonsten müssen normale Hauskatzen aushelfen. Tiere, die mit erschöpften Schritten durch Landschulen, Fakultäten und sogar angesehene Stadttheater streifen, um die Nagetiere aufzuspüren, die seit einiger Zeit alltäglich sind. MARTA PLATÍA