Keine Hoffnung auf Änderung

Die Parlamentswahlen in Algerien machen deutlich, wie viele Menschen sich von der Politik abgewandt haben. In dem „Todesdreieck“ südlich der Hauptstadt nimmt die Gewalt wieder zu. Hier wurde kürzlich der GIA-Chef von der Armee erschossen

aus Boufarik REINER WANDLER

Wären da nicht die beiden Spruchbänder am Büro der ehemaligen Einheitspartei Nationale Befreiungsfront (FLN) und die Plakatwand auf dem Rathausplatz, in Boufarik würde nichts an die algerischen Parlamentswahlen am kommenden Donnerstag erinnern. Kein Kandidat hat sich in die 40 Kilometer südlich von Algier gelegene Kleinstadt verirrt. Kein Flugblattverteiler versucht die Menschen zu gewinnen. „Hier interessiert sich eh niemand für die Wahlen“, erklärt Mohamed, der von einem Steinmäuerchen aus ein paar Männern beim Boule-Spielen zuschaut. „Alle sind davon überzeugt, dass es bei den Wahlen eh nicht sauber zugeht.“

Mohamed geht dennoch wählen: Mit „Bürgerpflicht“ begründet er diesen Schritt. Der Mann Ende 30 ist Beamter im Schulamt. Nach kurzem Schweigen gibt er seine Option preis – die legale islamistische Partei MSP-Hamas, die seit knapp drei Jahren mit der FLN und der vom ehemaligen Präsidenten Liamine Zeroual als neue Staatspartei ins Leben gerufene National-Demokratische Versammlung (RDN) die Regierung stellt.

Dennoch hat Mohamed den Glauben in die Politik verloren. „Wir leben immer schlechter“, erklärt er. In Boufarik ist die Hälfte der Menschen arbeitslos. Wenn überhaupt, gibt es Jobs auf den Gemüsemärkten, auf denen die Produkte aus der fruchtbaren Mitidja-Ebene an Händler aus dem ganzen Land verkauft werden. Doch wer Arbeit hat, der hat noch lange kein Auskommen. So verdient Mohamed als Beamter einen für algerische Verhältnisse guten Lohn von monatlich 12.000 Dinar (170 Euro). „Doch ohne Nebenjobs kann ich damit meine Familie nicht ernähren“, sagt er. In seiner Freizeit betätigt sich der Vater von zwei Kindern als Wiederverkäufer von Schmuggelimporten.

An die von Staatschef Abdelaziz Bouteflika bei seinem Amtsantritt 1999 versprochene nationale Aussöhnung glauben in Boufarik nur noch wenige. Denn hier herrscht weiter Gewalt. „Daran wird sich so schnell nichts ändern“, ist sich Mohamed sicher. „Zu viele verdienen an der aktuellen Situation.“ Er hat dabei in allererster Linie die bewaffneten Gruppen selbst im Blick, aber auch die Schmuggler sowie die Polizisten und Militärs, die mit ihnen unter einer Decke stecken.

Seit den letzten Monaten nimmt die Gewalt rund um Boufarik sogar wieder zu. Die Mitidja-Ebene, die wegen zahlreicher Massaker in den harten Jahren des algerischen Konfliktes auch „Todesdreieck“ genannt wird, macht wieder häufiger durch Bomben und Straßensperren bewaffneter Gruppen von sich Reden. In Boufarik gab es in den letzten Monaten mehrmals Tote.

Die kleine Stadt im französischen Baustil war jahrelang eine der Hochburgen der ganz Radikalen. In der Nähe Boufariks wurde Antar Zouabri geboren, ehemaliger Anführer der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA). Bis heute kontrollieren schwer bewaffnete Gendarmen die Zufahrtswege nach Boufarik. Umso größer war die Überraschung, als die Armee Anfang Februar den lang gesuchten Zouabri ausgerechnet hier fand und tötete. Ein vom CIA abgehörtes und geortetes Telefongespräch wurde dem GIA-Chef zum Verhängnis.

Die Straße, in der sich Zouabri damals versteckt hielt, liegt gleich neben dem Fußballstadion. Heute geben sich alle überrascht. „Wir haben nichts Auffälliges bemerkt“, erklärt ein Gemüsehändler. Mehr will er zum Thema nicht sagen. Sein Geschäft liegt gleich gegenüber von dem Haus, in dem Zouabri untergetaucht war und von wo aus er seine Truppen befehligte.

Die anderen Bewohner der Straße schließen sich dem Schweigen des Gemüsehändlers an. In Boufarik hat man gelernt mit denen zu leben, die den Ton angeben. Im antikolonialen Kampf gegen Frankreich schlossen sich hier alle der Befreiungsarmee und späteren Staatspartei FLN an. Als die Islamisten Anfang der 90er ihren Aufschwung erlebten, wählte Boufarik mehrheitlich die Islamische Heilsfront (FIS). Und als nach deren Verbot 1992 bewaffnete Gruppen zum Krieg schritten, konnten auch sie auf die Sympathie vieler Menschen in Boufarik setzten. Jetzt, wo die Islamisten ihren Krieg verloren haben, gewinnen hier wieder die FLN und die Regierungspartei RND die Wahlen.