Die vielfältigen Windungen des Alltags

Das Kabarett ist doch nicht tot, sondern witzelt, ironisiert und rächt sich munter weiter: 16. Hamburger Festival, veranstaltet von den Kammerspielen und verschiedenen Privattheatern auf St. Pauli

Der Verdacht liegt nahe, dass die Kammerspiele das Kabarett-Festival wegen derzeitiger umbaubedingter Ungemütlichkeit in Kooperation mit den Privattheatern auf St. Pauli austragen. Auch die Vorrede von Kultursenatorin Horáková im Programmheft zum diesjährigen Motto Alles Koks lässt sich in diese Richtung lesen: Endlich dürfe das Festival mit seinen 16 Jahren auf den Kiez, heißt es da.

Dürfen oder müssen? Weder noch. Denn Intendant Ulrich Waller plante schon seit geraumer Zeit zusammen mit den Machern vom St. Pauli-Theater, Schmidt Theater und Tivoli sowie den Fliegenden Bauten die stärkere Öffnung des ältesten und größten Festivals zur Stadt.

Mit der erhöhten Zahl an Spielorten steigt auch die Zahl der geladenen KünstlerInnen: Insgesamt 66 werden vom 1. bis zum 23. Juni in insgesamt 34 Programmen auftreten –der Großteil nach wie vor in den Kammerspielen, die das Baustellenstadium mittlerweile hinter sich haben. Mit dabei sind natürlich wieder bekannte Gesichter aus Scheibenwischer. Zwar ist der als Lesung kaschierte Auftritt von Alt-Star Dieter Hildebrandt längst ausverkauft, doch geben sich auch seine Dauergäste Mathias Richling und Georg Schramm die Ehre, beide Meister in ihrer Figurenüberzeichnung.

Besonders erfreulich ist dieses Jahr die große Anzahl Kabarettistinnen ganz unterschiedlicher Couleur. Auch wenn Publikumsmagneten wie queen bee, Missfits und Lisa Politt, die ihrem Solo-Programm Rache beisteuern wird, nicht fehlen dürfen, kann man sich auf so manche Entdeckung freuen: Mein ist mein ganzes Herz lautet etwa der bezeichnende Titel vom ehemaligen Thalia-Mitglied Angela Buddeke, die sich am Klavier durch die Windungen des weiblichen Alltags begleitet.

Dem alltäglichen Horror rückt auch Popette Betancor auf lakonisch-subtile Weise zu Leibe. Erfrischend wird sicherlich die Hamburg-Premiere von Cordula Stratmanns Andererseits wiederum..., wird die Kölnerin doch ähnliche Originale im Gepäck haben wie ihre Annemie Hülchrath als Nachbarin der Zimmer frei-WG. Und auch die für die ARD zu feministische Maren Kroymann meldet sich mit Gebrauchte Lieder zurück – Schlager, Country und Pop der 60er Jahre.

Drei wahrhaft schräge Zeitgenossinnen liefert Die Nacht der wilden Weiber im St.Pauli-Theater mit Hertha Schwätzig, Krissie Illing und Hilde Kappes. Dieses Jahr mit dem deutschen Kleinkunstpreis gewürdigt wurde Alfred Dorfers heim.at, das nun auch in Hamburg Premiere feiert. Als weiterer Repräsentant der Wiener Kabarett-Szene beschreitet Dorfers Bandkollege Günther Paal alias Gunkl erstmals solo die Bühne und wird Philosophie und Humor querdenkend verbinden.

Ähnlich geht auch Frank Lüdecke vor, der über eine Gesellschaft sinniert, in der Hausmeister zu Facility-Managern mutieren. Liv Heidbüchel

Das vollständige Programm Alles Koks vom 1.-23. Juni in den Hamburger Kammerspielen, dem Schmidt Theater/ Tivoli, den Fliegenden Bauten und dem St.Pauli-Theater unter www.hamburger-kabarettfestival.de; Karten: 040/ 300 51 391