„Er hat aber doch eine gute Sozialpolitik gemacht“

■ Arn Strohmeyer stellte sein neues Buch zur völkischen Geschichte der Böttcherstraße vor. Die Entlarvung ihres Erbauers Ludwig Roselius als hartgesottener völkischer Ideologe blieb nicht ohne Reibungsverluste

„Es ging Ludwig Roselius mit der Böttcherstraße um ein völkisch-germanisches Gesamtkunstwerk“, erklärte der Bremer Journalist und mehrfache Buchautor Arn Strohmeyer, „ganz wie dem von ihm bewunderten Antisemiten Richard Wagner mit dessen Oper Parsifal. Die Konzeption der Böttcherstraße orientiert sich an der Wagnerschen Idee der nationalen Wiedergeburt. Dazu gehörten Genies, Helden und Führer.“

Zur Präsentation seines neuen Buches „Parsifal in Bremen – Richard Wagner, Ludwig Roselius und die Böttcherstraße“ (vgl. taz vom 24.4.) hatte sich Strohmeyer, im Hauptberuf Ressortleiter Politik der Bremer Nachrichten, an den Ort des Geschehens begeben – ins Paula Modersohn-Becker Museum in der vermeintlichen „romantischen Märchenstraße“. Dort legte er detailliert dar, dass der heutige Touristenmagnet Böttcherstraße damals Modellcharakter haben sollte – als architektonisch-künstlerische Inkarnation des Nordisch-Niederdeutschen. „Die Böttcherstraße ist ein Mythos vom Ganzen“, führte Strohmeyer aus. „Das Ganze war das Deutschtum, vom Niederdeutschen her verstanden.“

Etwa 60 Personen, überwiegend jenseits der Mitte 40, waren der Einladung von Museumsleiter Stamm gefolgt. Wie zur Illustration hingen um sie herum Bilder derjenigen Künstlerin, die der Bremer Kaffee-Unternehmer (HAG) und Kunstmäzen Ludwig Roselius den Nazis zusammen mit Plastiken von Bernhard Hoetger und dem Haus Atlantis gerne als neue völkische Kunst angedient hätte. Dass mit der Durchsetzung der „naturalistischen“ Kunstdoktrin Alfred Rosenbergs ab 1935 sowohl Paula Modersohn Becker als auch der gesamte „nordische Expressionismus“ der Böttcherstraße samt seines Finanziers Roselius nicht mehr sonderlich wohlgelitten waren, ist einer der schlechten Treppenwitze der kurzen, aber desto brutaleren Geschichte des Nationalsozialismus. Strohmeyers Entzauberung Roselius' als völkischer Denker und „Nationalsozialist“ (Roselius über sich selbst) und der Böttcherstraße als nördlichem, ja nordischem „Bayreuth“ löste denn auch eine lebhafte und kontroverse Diskussion aus.

„Dann müssen wir ja jetzt die Böttcherstraße einreißen“, murrte ein Diskutant. „Ich höre das alles hier zum ersten Mal“, bedankte sich hingegen ein anderer bei Strohmeyer, „selbst die Sozialdemokraten haben uns Roselius in den 50ern und 60ern bloß als großherzigen Mäzen vorgestellt.“ Die Mehrzahl der Diskutanten waren weniger begeistert. „Als Nachfahre von Roselius“, gab sich ein älterer Herr zu erkennen, „muss ich gegen die einseitige Darstellung doch betonen, dass Roselius sehr an der Lösung der sozialen Frage interessiert war. Ich verlange Gerechtigkeit für Roselius“.

Strohmeyer konterte: „Leider wollte Roselius die soziale Frage in der Volksgemeinschaft lösen, nicht durch Emanzipation.“ „Hat denn nicht auch Roselius das Recht auf politischen Irrtum?“, versuchte eine ältere Dame einen weiteren Rettungsversuch. „Roselius hat schon 1917 die völkische Deutsche Vaterlandspartei gegründet“, antwortete Strohmeyer, „zusammen mit Admiral Tirpitz und dem späteren Putschisten Kapp. Bei seiner Beerdigung 1942 wurde er immer noch als großer Volksgenossse gefeiert. Er hat seine Gesinnung nie geändert.“ Auch die Wagners seien der Partei damals beigetreten.

Einführende Worte zu Strohmeyers Lesung sprach Ulf Thomas-Lesle vom Institut für Niederdeutsche Sprache (INS) im Bremer Schnoor. Zwar bezog sich der völkische Kult des „Niederdeutschen“, den Roselius in Anlehnung an den Ideologen Julius Langbehn (Autor von „Rembrandt als Erzieher“) pflegte, nur bedingt auf

das Niederdeutsche als Sammelbezeichnung für die plattdeutschen Dialekte Norddeutschlands. Viel mehr ging es um den Blut- und Boden-Mythos einer vermeintlichen arisch-germanischen Kultur-Landschaft. „Dennoch haben sich die sprachpflegerischen plattdeutschen Vereine gerne in diesen Mythos einbinden lassen“, erläuterte Lesle. „Mit Langbehn hat der niederdeutsche Mensch einen politischen Auftrag erhalten – und zwar einen national-konservativen. Aus all dem wurde die Niederdeutsche Bewegung.“ Lesles Kernthese lautet denn auch: „Jeder Regionalismus ist die Keimzelle des Nationalismus, weil er dazu neigt, das Fremde auszugrenzen.“

Mit Spannung bleibt zu erwarten, wie die Böttcherstraße sich in ihrer eigens dem Erbauer gewidmeten Ausstellung „Marke und Mäzen“ mit Roselius' Auffassungen auseinander setzt.

Thomas Gebel

Die Ausstellung „Marke und Mäzen“ wird am 2. Juni um 15 Uhr eröffnet