Formvoll ohne Form

Wegbereiterin der Frauenbewegung und Mutter des US-Avantgardefilms: Das Babylon-Mitte widmet der Regisseurin Maya Deren eine Filmreihe

von SUSANNE BURG

Maya Derens Filme sind kurz, teilweise sehr kurz. „A Study in Choreography for Camera“ (1945) dauert genau drei Minuten. Doch auch in drei Minuten kann einem schwindelig werden. Denn die Kamera agiert als Partnerin des Tänzers Talley Beatty. Sie ermöglicht Bewegungen, die für ein Individuum alleine undenkbar wären. Gemeinsam schweben sie durch Wald, Wohnzimmer und Museum. Den Film umgibt eine sinnliche, verführerische Aura, doch ebenso deutlich wird er zu einer cinematografischen Studie, die sowohl das Verhältnis von Zeit und Raum als auch das von Körper und Bewegung untersucht und ganz nebenbei das Medium Film und seine Fähigkeiten testet.

Die Symbiose von intellektueller Arbeit und leidenschaftlicher Körperlichkeit zieht sich wie ein roter Faden durch Maya Derens Werke. In den meisten Filmen – zum größten Teil in den Vierzigerjahren gedreht – tritt sie nicht nur als Regisseurin, sondern auch als Darstellerin in Erscheinung. Attraktiv, erotisch, selbstbewusst.

Deren gilt als Wegbereiterin für die Frauenbewegung und wird als „Mutter des amerikanischen Avantgardefilms“ gefeiert: Die Regisseurin leistete wesentliche Schrittmacherdienste für die Vertreter des Underground-Films, indem sie Vertrieb und Vorführung in die eigene Hand nahm und die „Creative Film Foundation“ zur Förderung unabhängiger Filmemacher gründete. Maya Deren kam über die Lyrik und den Tanz zum Film. 1917 in Kiew geboren, zog sie schon als Kind mit ihren Eltern nach New York, studierte Journalismus und Englische Literatur und schloss sich 1941 der Choreografin und Tänzerin Catherine Dunham an. Erst zwei Jahre später, nachdem sie den aus Prag emigrierten Filmemacher Alexander Hammid geheiratet hatte, drehte sie, zusammen mit ihrem Ehemann, ihren ersten Film „Meshes of the Afternoon“. Die beiden bannten surrealistische Fantasien einer subjektiven Vorstellungswelt auf die Leinwand. „Ich war eine durchschnittliche Dichterin, bevor ich Filmemacherin wurde“, sagte sie einmal.

„Als ich eine Kamera in der Hand hielt, war es, als würde ich nach Hause kommen. Im Film kann ich die Welt tanzen lassen. Ich kann die Welt darstellen, ohne sie in Worte fassen zu müssen.“ Diese Aussage erklärt auch ihre Begeisterung für Bewegung auf der Leinwand. In „Meditation on Violence“ aus dem Jahre 1948 folgte sie mit der Kamera dem Training des Tai-Chi-Lehrers Chao Li Chi. Nach der Hälfte des Filmes laufen die Aufnahmen rückwärts, wobei die Bewegungen Chao Li Chis nicht weniger fließend und vollkommen wirken.

Für Maya Deren ist die Form, die keine Form hat, die ultimative Form. Oder mit anderen Worten: In der ständigen Bewegung befinden sich für sie alle möglichen Formen. Ähnlich auch beim Voodoo. Hier interessierte sie die Bewegung als Meditation, die Sinnlichkeit und die geistige Entrückung. Maya Deren vertiefte sich so sehr in die Welt Haitis, dass sie schließlich initiiert wurde und die Göttin der Liebe, Erzulie, immer wieder Besitz von ihr ergriff.

Die Filmemacherin Martina Kudlácek spürt nun in der österreichisch-tschechischen Dokumentation „In the Mirror of Maya Deren“ („Im Spiegel der Maya Deren“) Zeitgenossen auf: Derens Exmann Hammid, die Choreografin Dunham, den Tai-Chi-Lehrer, Tänzer in Haiti. Das ist eindrucksvoll, denn Maya Deren ist bereits 1961 gestorben, und auch einige ihrer Bekannten und Freunde waren längst tot gesagt. Kudlácek übernimmt die gängige Meinung, Maya Deren sei Wegbereiterin für den amerikanischen Avantgardefilms gewesen.

Eine Meinung, die auch die Avantgardefilmer der 40er-Jahre gerne propagiert haben. Denn sie selber sahen sich als Pioniere, obwohl viele durchaus mit den avantgardistischen amerikanischen Regisseuren der 20er- und 30er-Jahre vertraut waren, mit Charles Sheeler und Paul Strand, mit Charles Bryant oder einem Orson Welles, der 1934 als 19-Jähriger zusammen mit seinem Schulfreund William Vance den achtminütigen expressionistischen Stummfilm „The Hearts of Age“ drehte. Doch das passte ihnen nicht ins Konzept. Lieber vertraten sie die Ansicht, die Amerikaner hätten lediglich europäische Formen reproduziert und nichts Amerikanisches geschaffen. Erst seit einigen Jahren haben die Filmwissenschaftler diese frühen Werke wieder ausgegraben und das Bild etwas korrigiert.

Doch diese Diskussion tut Maya Derens Werk natürlich überhaupt keinen Abbruch. Ihre Arbeit ist virtuos, intensiv und erfordert die gleiche Aufmerksamkeit, die Betrachter einem Gemälde entgegenbringen.

„In The Mirror of Maya Deren“: 29. 5., 21.30 Uhr und 30. 5., 19 Uhr. Filme von Maya Deren: 30. 5., 21.30 Uhr 31. 5., 20 Uhr. Filmkunsthaus Babylon, Rosa-Luxemburg-Str. 30, Mitte.