Bayern fürchtet „die Attac-Organisation“

Die Münchner Lehrerin Sophia Deeg ist ihrer Schulbehörde suspekt. Nicht nur hat sie Jassir Arafat besucht. Sie ist auch Mitglied bei Attac. Dafür sollte sie sich rechtfertigen – doch jetzt gibt die Regierung zu: Wir wussten nicht, was „Attac“ ist

MÜNCHEN taz ■ Weil die Regierung von Oberbayern angeblich Attac nicht kennt, ist jetzt eine Münchnerin in Schwierigkeiten geraten. Die Bezirksregierung zweifelt an der Verfassungstreue einer Lehrerin, weil sie sich in der Friedensbewegung und bei den Globalisierungskritikern von Attac engagiert. Ein Regierungsinspektor der Schulabteilung verlangte von der Angestellten eine detaillierte Erklärung, um sicherzustellen, „dass Lehrkräfte nicht in Verbindung mit verfassungsfeindlichen Gruppierungen stehen“, wie es in einem von zwei Schreiben an die Lehrerin heißt.

Anlass der Gesinnungsprüfung waren Presseberichte über den einwöchigen Aufenthalt von Sophia Deeg im vom israelischen Militär belagerten Regierungssitz von Palästinenserpräsident Jassir Arafat. Vorgehalten wird ihr neben der Mitgliedschaft bei Attac, dass sie nach ihrer Rückkehr vor knapp zwei Monaten bei einer Veranstaltung des Palästinensischen Studentenvereins in München gesprochen habe. Die 50-jährige Lehrerin unterrichtet am Münchner Studienkolleg, an dem Ausländer die Unizulassung erwerben.

Die Schnüffelei der Bezirksregierung hat auch den Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bayerischen Landtag, Klaus Hahnzog, alarmiert. „Die von der Lehrerin geforderte Offenlegung ihrer Attac-Mitgliedschaft und ihrer Tätigkeit in dieser Organisation erinnert mich sehr stark an den unseligen Radikalenerlass“, protestierte der SPD-Politiker. Die Sprecherin der Regierung von Oberbayern beschwichtigt jedoch mit Blick auf Attac: „Ich gehe davon aus, dass dem Mitarbeiter die Organisation nicht bekannt war. Die Mitgliedschaft von Frau Deeg ist sicherlich kein Grund, an ihrer Verfassungstreue zu zweifeln.“

Bernd Michl von Attac München nennt die behauptete Unbedarftheit der zwei schreibenden Regierungsinspektoren eine „glatte Ausrede“ und „lächerlich“. Dieser Versuch der CSU, Globalisierungskritiker und Friedensaktivisten „mundtot zu machen“, komme einem Verfassungsskandal gleich: „Das steht in einer Linie mit den Demonstrationsverboten und dem Verbot der freien Meinungsäußerung.“

Dass die Lehrerin ins Visier der Regierung geriet, überrascht umso mehr, weil es der Behördensprecherin zufolge in den letzten Jahren nur drei oder vier so genannte Anhörungsschreiben gab. Dieser Brief, mit dem Betreff „Ihre Tätigkeit als Friedensaktivistin und Mitgliedschaft bei der ‚Attac‘-Organisation“, gipfelt in dem Satz: „Insbesondere in sicherheitspolitisch angespannten Zeiten (…) bringt es bereits die Tätigkeit in organisierten Friedensbewegungen mit sich, nähere Auskünfte hierüber einzuholen.“

Die Antwort von Sophia Deeg fiel knapp aus: „Zur Klärung der Sachlage kann ich Ihnen die Lektüre der Publikationen von Attac und des Palästinensischen Studentenvereins empfehlen.“ Auch Schorsch Wiesmaier, Landeschef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, hat der Bezirksregierung geschrieben: Er könne sich nicht vorstellen, dass sie die Beantwortung „dieser merkwürdigen Fragen“ erwarte. Eine Antwort steht aus. OLIVER HINZ