Fürs Tischtennisturnier und die soziale Gerechtigkeit

■ Die Spaßgesellschaft kippt, seine Zeit war nie vorbei, findet Günter Wallraff. Am Sonntag liest er in Bremen

Der Mann ist begehrt, kaum an die Strippe zu kriegen – Interview hier, Kurzauftritt dort: Günter Wallraff ist wieder da. Derzeit vor allem, weil „Bild“ 50 wird. „Wirklich kein Grund zum Feiern. Ich halte dagegen“, sagt Wallraff, sein Buch „Der Aufmacher“, in dem er die „Bild“-Methoden aufdeckt, feiert immerhin 25-jähriges Erscheinen. Am Sonntag ist Wallraff im Bremen, um 11 Uhr liest er auf Einladung des Vereins Freizeit 2000 im Ratskeller.

taz: Warum kommen Sie nach Bremen?

Günter Wallraff: Weil ich mit meinem Freund und Kollegen Jürgen Alberts gerne noch einmal ein Tischtennisturnier bestreiten möchte. Und weil ich noch einige FreundInnen nen treffen werde. Veranstaltungen in feierlichem Rahmen widerstreben mir, ich bin lieber in Schulen - da bringt es noch was. Aber ich mach schon mal eine Ausnahme, wenn es denn sein soll.

Was werden Sie uns am Sonntag erzählen?

Das weiß ich auch noch nicht. Ich handle sehr spontan. Ein Sammelsurium aus meinem Lebenswerk schleppe ich in einer schweren Tasche mit mir herum. Dann schau ich mir die Zuhörer an und greife in meine große Tasche – manchmal gezielt aufs Publikum hin, manchmal nach dem Zufallsprinzip.

Was steht aktuell bei Ihnen an?

Nach einer langwierigen Knochenerkrankung und einer erfolgreichen Operation bin ich wieder soweit hergestellt, dass ich mir wieder einiges zutrauen kann. Ende Juni mache ich eine Erkundungsreise nach Afghanistan.

Sie haben ja den Begriff Enthüllungsjournalismus geprägt –

Habe ich nicht, dieser Begriff wurde mir aufgedrückt, mir gefällt der Begriff Rollenreportage besser. Es sind nicht immer die großen Skandale, die ich enthülle – oft sind es die kleinen Katastrophen des Alltags, die ich aufspüre.

Ich mache auch vieles, gerade was Menschenrechtsinitiativen angeht, das nie erscheint und dennoch etwas bewirkt und einzelnen Menschen hilft. Das ist für mich oft wichtiger, als dass ich ein spektakuläres Buch vorlege.

Sie werden wohl nicht verraten wollen, in welche Rolle Sie demnächst abtauchen?

Ich kann etwas anderes verraten: Während meiner Krankheit habe ich einen jüngeren Kollegen beratend zur Seite gestanden. Er wird im nächsten Jahr ein hoffentlich viel beachtetes Buch herausbringen.

„Der Aufmacher“ und „Ganz unten“ waren sehr spektakuläre Beispiele von Enthüllungs- oder Rollenjournalismus, die es seither in dieser Weise nicht mehr gegeben hat. Ist die Zeit dieser Sorte von Journalismus inzwischen vorbei?

Die Verhältnisse schreien geradezu danach, sie von innen her aufzuspüren und und sichtbar zu machen.

Mir aber sind – was beispielsweise die Leiharbeiter angeht – altersmäßig Grenzen gesetzt. Da bekäme ich keinen Job mehr, sonst würde ich's sofort wieder machen. Die Probleme sind nicht geringer geworden, im Gegenteil, sie sind massiver geworden.

Dennoch hat man den Eindruck, dass das, was Sie damals und jetzt wieder machen, nicht mehr Berufsziel vieler Journalisten ist.

Das sehe ich anders. Ich spüre, was sich gesellschaftlich tut – und da erlebe ich genau das Umgekehrte. Die Spaßgesellschaft kippt um. Vielen bleibt das Lachen im Halse stecken.

Dieser Gärungsprozess hat gerade angefangen. Ich habe viel mit denen zu tun, die nicht zu den Repräsentanten und Mitspielern gehören. Ich bin sicher, dass diese ablenkende schöne neue Scheinwelt, die ja nicht das wahre Leben repräsentiert, inzwischen von vielen als Propagandamasche durchschaut worden ist. Die sozialen Ungerechtigkeiten sind wieder Thema. Nur: Die meisten Macher haben's noch nicht begriffen.

Fragen: Susanne Gieffers