Brieffreundschaft mit Bäumen

Werner Henkel macht Zweige zu Texten und Axtstiele zu „Schonungen“. Nennt man so was „Ökokunst“?

Da stecken sie: 100 Axtstiele, in Reih‘ und Glied geordnet, wie bundesdeutsche Aufforstungsflächen eben so aussehen. Andere natürlich auch. Werner Henkel jedenfalls hat sie für den Cloppenburger Kunstverein “gepflanzt“, animiert von Leonardo da Vincis Sentenz: “Die Wälder werden die Kinder gebären, die die Ursachen ihres Todes sind.“

Anderes Beispiel: 75 Efeublätter klemmen zwischen zwei Plexiglasscheiben, jedes einzelne sorgfältig, nach Scherenschnittmanier, von Henkel zu Vögelformen gestutzt. Ist so jemand ein „Ökokünstler“? Hm. Halten wir erstmal fest: Die ästhetischen Ergebnisse der Henkel‘schen Produktion sind klasse, wobei die kleine Form die große dominiert - „man hat halt nicht jeden Tag große Salzwüsten zum Umgraben zur Verfügung“.

Der 45-jährige Peterswerderaner ist eher ein Atelierarbeiter denn ein landarter. Anfang der 90er war er künstlerischer Mitarbeiter der Ökologiestation in Bremen-Nord, derzeit formt er den Wasserhaushalt eines oberbayrischen Landkreises zur Skulptur; vor kurzem zeigte die Galerie Reinfeld am Weidedamm eine Auswahl seiner Arbeiten.

Das Generalmotiv: Henkel kopiert und abstrahiert organische Muster. In Steinen eingeschlossene Quarzadern, die Fraßlinie einer Miniermotte, das Verwesen eines Blattes. Oder er erforscht den „Verzweigungsduktus“ verschiedener Baumarten - will heißen: Aus der jeweils typischen Art eines Baumes, sich zu verästeln, macht Henkel kleine Kunstwerke. So ist sein Zyklus „Brieffreundschaft mit Bäumen“ entstanden: 12 deutlich unterscheidbare „Texte“ aus Zweigstücken.

Manchmal arbeitet Henkel auch als Pädagoge. Dann lässt er solche Briefe, zum Beipspiel, „übersetzen“. Spätestens hier drängt sich die Frage auf, ob Henkel der alten Paracelsus-Idee von der Natur als „Buch Gottes“ frönt. Sind die Naturmuster „Chiffren einer höheren Geistigkeit“? „Nein“, sagt Henkel. Aber mehr als vordergründige Ästhetik stecke in seinen Kunstwerken schon drin. Wenn man sich so eingehend mit Natur beschäftigt, bekäme man in der Tat ein „tiefergehendes Verständnis“ für deren Ausdrucksmittel. Henkel spricht von „Erdgedächtnis“ und Zeitablagerungen * die hat er vergangenes Jahr in der „Terra“-Ausstellung des Gerhard-Marcks-Hauses nachgebildet.

Nächste Szene: Der Botanische Garten in Bonn. Henkel stellt große Glastafeln mit UV-Schutzfolie auf, in die Rilke-Verse gestanzt sind: „Nächstens will ich mit dem Engel reden, ob er meine Augen anerkennt. Wenn er plötzlich fragte: Schaust Du Eden, und ich müsste sagen: Eden brennt.“ Das Thema dieser Skulptur: Die Löcher im Ozon, der Schutzhülle um die Erdatmosphäre. Henkels ökologisch orientierte Karriere begann, als 1988 ein Überdruckventil im AKW Stade nachgab. Vorher war der HfK-Absolvent in (ressourcenverbrauchenden) Künsten wie der copyart unterwegs. Auch heute scheut er keinen Einsatz von Lack oder Kunststoff.

Also: Das fragwürdige Etikett „Ökokünstler“, mit dem Henkel manchmal beklebt wird, hat zwei von einander unabängige Komponenten: Er setzt sich einerseits mit Naturbelastungen auseinander und hat andererseits den ästhethischen Reiz der Naturmaterialien lieben gelernt. Diese Motivationen können sich treffen - oder auch nicht. Da Vinci hat eben noch keineKettensägen gekannt.

Henning Bleyl