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: Die Wahrheit liegt im Geist des Wassers: Frank Rothes Roman „Mondbad“

Fluss ohne Ufer

Am Anfang ist die Leere: Max Sander weiß nicht, warum er am Leben und auf der Welt ist. Er fühlt sich falsch in diesem Programm der Realität, dem ungeliebten „Festland“, und er hält sich mehr schlecht als recht an die geltenden Bedingungen. Um den lauen Zustand zu bekämpfen, denkt sich der 25 Jahre alte Arbeitslose den Zauber einer „wahren Existenz“ herbei. Max Sander weiß plötzlich, wer er ist: der König des Wassers.

Diese anmutige Behauptung dient dem Ich-Erzähler in Frank Rothes Roman „Mondbad“ als Leitfaden und Legitimation. Da es Sander, der melancholisch-introvertierte Daytripper, nicht so hat mit dem Pragmatischen, verlegt er sich auf die Introspektion. Er horcht tief in sich hinein und fördert Poetisches und Bedenkliches zutage. Das spricht er auf Band. Es ist dies die Suche nach einer im Wortsinne wässrigen Identität, die sich mehr und mehr von den richtungslosen Alltagsmurksereien des Helden abscheidet.

Max weiß, dass er die Zielgerade des „Festlands“ nicht einschlagen wird, zweimal schon hat er Jobs angenommen – er war Nachtportier in einem Hotel und Kellner in einem Eiscafé –, und beide Male ist er gefeuert worden, weil er nicht genügend konditioniert war. Eines kalten Tages im August greift Max zum Diktafon und beginnt, seine Geschichte auf Band zu sprechen. Weil er beweisen will, dass er der König des Wassers ist. Weil er mit seinem Glauben an die Schönheit des Wassers den Zweifel besiegen will, den Zweifel der geliebten, unerreichbaren Frau, und den Selbstzweifel.

Frank Rothe erzählt in seinem Debütroman „Mondbad“ die Geschichte von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen. Damit knüpft der 30 Jahre alte Berliner Journalist an die Tradition des Bildungsromans an. Auch bei ihm verlässt ein junger Mann die vertraute Heimat – nicht die äußerliche, dingliche, sondern die seiner Gedanken –, um sich in unbekannte Gefilde zu begeben, Proben zu bestehen und gereift aus dem Selbstfindungsprozess zurückzukehren. Alles okay so weit. Erstaunlich ist nur, dass der fantasie- und ironiebegabte, poetisch veranlagte und systeminkompatible junge Held oft mit abgegriffenen Klischees hantiert. Wenn er von seinem Prenzlauer Berg redet, dann ersteht ein verlorenes Paradies, in dem die zugezogenen Kinder reicher Eltern „unaufhörlich Prosecco trinken und sich mit Honigmelone und Parmaschinken voll stopfen“. Max dagegen kauft Fladenbrot beim Dönermann, gerät auf Partys mit verklemmten Slawistikstudentinnen oder verwickelt sich in der Absturzkneipe „Bla Bla“ in Schlägereien.

Der gute, weil alteingesessene Prenzlauer-Berger – Sander ist in der Oderberger Straße gezeugt worden! – wird gegen den bösen, weil zugezogenen Neuberliner ausgespielt. Lokalkolorit wird in die fiktive Handlung hineingenommen, so als wollte der Autor auch dem ortsunkundigen Neuberliner noch erklären, was in der Old School läuft. Das verwässert die schöne, im Fantastischen angesiedelte Hauptgeschichte. An ihren besten Stellen poetisch, fließt sie durch die unnötige Realitätsanbindung manchmal etwas zäh dahin. Bis sie sich am Ende noch einmal richtig hochreißt und uns mit einem sinistren, ungeklärten Ton entlässt, der an Paul Auster erinnert. JANA SITTNICK

Frank Rothe: „Mondbad“. Knaur Lemon, 2002, 233 Seiten, 8,90 €ĽBuchpräsentation mit CorinnaHarfouch, 7. 6., 20 Uhr, Frei-schwimmer, Kreuzberg, Vor dem Schlesischen Tor 2