Der letzte Döner im „Antalya Grill“

In der sächsischen Kreisstadt Pirna schließt eine türkische Familie ihren Imbiss – aus Angst vor rechten Übergriffen

PIRNA taz ■ Auf einem der Gästetische liegt die Gewerbeabmeldung. Eine Freundin der türkischen Familie Sendilmen hilft beim Ausfüllen. Sie wundere sich, dass die Betreiber des Imbisslokals im sächsischen Pirna es überhaupt so lange ausgehalten hätten. Gestern öffnete der „Antalya-Grill“ in der viel begangenen Fußgängerzone der Kreisstadt zum letzten Mal.

Vor sechs Jahren kam die 5-köpfige Familie mit 300.000 Mark Ersparnissen nach Pirna, heute drücken sie 50.000 Euro Schulden. „An manchen Tagen machen wir nicht mehr als 75 Euro Umsatz“, schildert die 21-jährige Tochter Selda die Lage.

Die wirtschaftlichen Probleme haben ihre Ursache in den ständigen Attacken von Rechtsextremisten auf das Lokal. „Auch unsere Kunden haben Angst bekommen“, sagt Selda. Am 1. Mai 1998 hat es angefangen, als sich nach der Leipziger NPD-Demonstration einige Skinheads erstmals hier austobten. Verbale Beleidigungen und Drohungen gebe es inzwischen fast jede Nacht, erzählt die Familie.

Gleichzeitig blieb die Angst vor Wiederholungen tätlicher Übergriffe. Mutter Keziban hatte im Januar 2001 ein zertrümmertes Fußgelenk davongetragen – und damit ein lebenslanges Handikap. Seitens der Staatsanwalt und der Polizei haben die Sendilmens jedoch eine seltsame Tatenlosigkeit beobachtet. „Die sind auf dem rechten Auge blind“, sagt Selda unverblümt. So hätten Beamte wiederholt lediglich Platzverweise erteilt. Zum ersten Mal standen am Himmelfahrtstag in diesem Mai zwei Streifenwagen zum Schutz vor dem Lokal.

Vater Adem und Sohn Recep mußten sich selbst wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten. Auch Selda hat einmal in ihrer Verzweiflung mit dem Dönermesser gedroht, um ihre am Boden liegende Mutter zu schützen. Doch die Anklage bekommt Risse. Bei der Verhandlung am Mittwoch verwickelte sich ein angeblicher Zeuge in solche Widersprüche, dass das Verfahren vom Amtsgericht zunächst ausgesetzt wurde.

Die nachgewiesene Beteiligung der militanten „Skinheads Sächsische Schweiz“ alias „SSS“ an den Übergriffen trug im Vorjahr zum Verbot der Gruppe bei. Nachgelassen haben ihre Aktivitäten dadurch nicht. Gegen 13 Skinheads wurden Verfahren eröffnet, aber es kam noch nicht zur Verhandlung. Jetzt rückt die Sonderkommission „SokoRex“ des Landeskriminalamts in Pirna an, die auf Ermittlungen mit rechtsextremem Hintergrund spezialisiert ist. Die lokale „Aktion Zivilcourage“ honoriert dieses späte Bemühen zwar, vermisst aber klare Worte und klares Handeln der politisch Verantwortlichen in Stadt und Landkreis. In der Region an der Elbe, die als Hochburg des Rechtsextremismus in Sachsen gilt, sind allein in den letzten sechs Wochen 28 Personen Opfer rechter Gewalttaten geworden.

Während die Eltern Sendilmen verbittert, gesundheitlich und nervlich zerrüttet sind, wirkt Tochter Selda offensiv. Sie freut sich auf einige Wochen in der Türkei, auf das gefahrlosere Leben danach in Berlin-Wedding. „Berlin ist Multikulti, das hier ist der Osten!“ Ein deutscher Gast, der sich nicht verscheuchen ließ, pflichtet ihr bei: „Man will hier weder Ausländer noch irgendwelche Konkurrenz, sondern unter sich bleiben.“

MICHAEL BARTSCH