Betteln bei Behörden

Manche Opfer der Grubenunglücke sehen nur noch eine Zuflucht: Die Reise zur Kohlebehörde nach Peking. Sie hoffen auf die Gerechtigkeit des Zentralstaats. Sie ernten dort Spott

PEKING taz ■ Den Bergarbeitern vor dem Gittertor der Nationalen Sicherheitsaufsichtsbehörde der Kohleindustrie scheint die glühende Pekinger Sommerhitze nichts auszumachen. Schon seit Stunden warten sie hier: Männer und Frauen mit dunkler Haut unter schäbiger Kleidung, deren starker Akzent ihre Herkunft verrät. Die Weitgereisten stammen aus Shanxi, der nordchinesischen Provinz, die man „Kohlemeer“ nennt.

Unter den Männern vor dem Tor ist keiner unversehrt geblieben: Auf Krücken, Stöcken und Prothesen wollen sie als Opfer von Grubenunglücken den Leiter des Sicherheitsamtes um Hilfe bitten. Neben ihnen stehen Frauen, denen Männer die Mine bereits begraben hat. Sie alle suchen letzte Rettung in der Hauptstadt.

„Wir haben alles versucht, doch niemand kümmert sich um uns“, klagt ein alter Mann mit Holzbein. Er schimpft über Unternehmen und Provinzbehörden, die sich um Leute wie ihn einen Teufel scheren. „Wir haben kein Geld mehr für die Rücktickets. Aber uns blieb nichts anderes übrig, als nach Peking zu kommen und direkt mit den Verantwortlichen zur reden“, erklärt der alte Mann und bricht in Tränen aus. Prompt fangen auch die Frauen an zu weinen. Sie spüren das bittere Ende ihrer Fahrt. Das Amtstor bleibt ihnen an diesem Tag verschlossen.

Eine Frau, die barfuß in roten Plastiksandalen nach Peking gereist ist, spricht verzweifelt auf den jungen Wächter des Amtes ein: „Mein Mann ist durch eine Gasexplosion in der Kohlegrube ums Leben gekommen. Die Bergbaufirma hat uns zunächst monatlich 150 Yuan (umgerechnet rund 20 Euro) Entschädigung bezahlt. Aber ich habe zwei Kinder und keine Arbeit. Mittlerweile bezahlt die Firma kein Geld mehr, und die Firmenwohnung ist verloren. Wenn es so weitergeht, muss ich die Kinder aus der Schule holen und auf die Arbeitssuche schicken.“ Der Wächter schaut stur auf die Straße.

Immer wieder setzen einfache Chinesen aus der Provinz ihre letzte Hoffnung auf die Gerechtigkeit des Zentralstaates. Doch für die Opfer von Grubenunfällen fühlt sich auch in der Hauptstadt niemand verantwortlich. Huang Yi, Vizeleiter der politischen Abteilung des Sicherheitsamtes, schwört in seinem mit Klimaanlage gekühlten Büro, dass alle Opfer und ihre Angehörigen von den Bergbaufirmen entschädigt und versorgt werden. Die Not der Opfer ist dem Beamten fremd: „Diese Bergarbeiter sind ursprünglich sowieso meist Bauern. Wenn ihnen ein Unfall passiert, gehen sie einfach aufs Feld zurück“, sagt Huang.

Währenddessen versuchen seine Kollegen den unwillkommenen Provinzgästen vor dem Gittertor zu erklären, dass der Leiter ihres Amtes abwesend sei und sie hier nichts zu suchen hätten. Der richtige Ort für sie sei das hundert Meter entfernte Klagebüro: „Gehen Sie dorthin“, befehlen die Beamten.

Doch die Leute fühlen sich betrogen. „Wir gehen nicht. Sie können uns festnehmen. Wir haben nichts mehr zu verlieren“, schreit der Alte mit dem Holzbein. Etwas später wird ihm das Warten doch zu lang. Widerwillig machen er und seine Kumpels sich auf den Weg zum Klagebüro. Zwei Uniformierte, die zuvor telefonisch informiert waren, empfangen die zermürbten Bergarbeiter mit dem Vorwurf, dass sie die öffentliche Ruhe vor dem Sicherheitsamt gestört hätten. Dann nehmen sie Schriftzeichen für Schriftzeichen ihre Klage auf.

Was aus ihr wird? Wahrscheinlich eine neue Akte für die große Ablage der chinesischen Bürokratie.

CHIKAKO YAMAMOTO