Der Preis für Kohle: 10.000 Tote

Chinas Kumpel sind die Opfer des Umbaus von der Plan- zur Marktwirtschaft. Die Kohleförderung soll weiter steigen. Gespart wird an der Sicherheit

aus Peking CHIKAKO YAMAMOTO

China ist der größte Kohleförderer und -verbraucher der Welt. Über zwei Drittel der chinesischen Energieproduktion basiert auf Kohle. Doch ein hoher Kohlendioxidausstoß und häufige Unfälle verdüstern das Bild einer Industrie, mit der für viele Chinesen einst der Fortschritt begann.

Nach offiziellen Angaben kamen allein im vergangenen Jahr mehr als 5.000 Menschen in Chinas Bergwerken ums Leben. Unabhängige Beobachter schätzen die Zahl auf mehr als 10.000 jährlich. Die meisten Unfälle werden von Gasexplosionen ausgelöst und ereignen sich in kleinen Bergwerken, von denen viele illegal betrieben werden. Diese zumeist privatwirtschaftlichen oder genossenschaftlichen Kohleminen investieren kaum in Sicherheitsmaßnahmen, ihre Bergleute sind den Grubengefahren oft schutzlos ausgeliefert. Die chinesische Regierung versucht daher, kleine Gruben zu schließen: Nach Angaben der Nationalen Sicherheitsaufsichtsbehörde wurden seit 1998 47.000 solche Minen geschlossen. 1997 lag die Gesamtzahl der Minen nach Regierungsangaben bei 82.000.

Doch die Zahlen sind nur bedingt aussagekräftig. In Wirklichkeit öffnen viele der „geschlossenen“ Bergwerke nach kurzer Zeit wieder. Auch ist es üblich, dass große staatliche Bergwerke trotz des Verbots kleinere Schächte an einzelne Unternehmer verpachten. Erst die große Zahl tödlicher Unfälle hat die Regierung inzwischen dazu bewogen, alle staatlichen Minen zur sofortigen Einstellung der Produktion in kleinen Schächten anzuweisen.

Der Kohleindustrie schaden die Verbote nicht. Im Gegenteil: Endlich ist das Überangebot an Kohle beseitigt und die Preise steigen wieder. Doch die verbesserte Marktlage führt wiederum dazu, dass die Minen ihre Produktion erhöhen, ohne die gültigen Sicherheitsvorschriften einzuhalten. „Das Sicherheitsbewusstsein des Volkes ist noch schwach“, räumt der Vizeleiter der Politischen Abteilung des Sicherheitsamtes, Huang Yi, ein. Die hohen Unglückszahlen führt er vor allem auf die Umstellung von der Plan- zur Marktwirtschaft zurück. „Früher hat sich der Staat um alles gekümmert, aber in der Marktwirtschaft sind die Unternehmer für ihren Betrieb verantwortlich. Dazu gehört auch die Sicherheit der Angestellten. Gerade die Kohleunternehmen investieren viel zu wenig in Sicherheitsmaßnahmen“, meint Huang.

Der steife Beamte begrüßt zwar, dass viele chinesische Medien inzwischen über die skandalösen Sicherheitszustände in den Minen berichten. Doch ist er unzufrieden über die Art der Berichterstattung: „Journalisten sollten über die Ursachen der Unfälle recherchieren. Stattdessen schreiben sie nur über die Toten.“ Weshalb sein Amt überlegt, die Zahl der Unfälle, über die berichtet werden darf, zu beschränken. „Man kann über die Bergwerksunfälle nicht ernsthaft schreiben, wenn über alle Fälle berichtet wird. Dafür gibt es zu viele Unfälle“, erklärt Huang. Richtig ist: Würden sich die Medien mit jedem größeren Unglück in der Kohlenindustrie beschäftigen, bräuchte man exklusive Tageszeitungen nur für das Thema.

Nicht zuletzt diese tägliche Dramatik führt dazu, dass das zweite große Kohleproblem in China weniger Beachtung findet: Aufgrund veralteter Kraftwerkstechniken qualmen fast 70 Prozent der benutzten Kohle einfach aus dem Schornstein. Damit ist das Land der weltweit zweitgrößte Produzent des klimaschädlichen Kohlendioxids. Trotzdem schnitt China auf der Weltklimakonferenz in Den Haag im Jahr 2000 gut ab: Aufgrund der Schließung der vielen illegalen Kohleminen sanken die CO2-Emissionen von 3.112 Millionen Tonnen im Jahr 1997 auf 2.862 Millionen Tonnen im Jahr 1998.

Neue, im Westen geläufige Kohletechnologien könnten darüber hinaus in China Wunder wirken und mehrere hundert Millionen Tonnen des Schwarzen Goldes einsparen helfen. Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (gtz) hat es vorgemacht: In 18 chinesischen Kraftwerken sparte sie allein durch die richtige Einstellung und Optimierung der Brenner 200.000 Tonnen Kohle jährlich ein. Ähnliche Sparmaßnahmen sollen nun auch in 400 weiteren Kraftwerken unternommen werden.