Schluss mit Lumpen

In Polen boomt der Altkleiderhandel. Ein neues Abfallgesetz schiebt dem Import künftig einen Riegel vor

WARSCHAU taz ■ Die „Lumpenparade“ durch das polnische Parlament konnte gerade noch verhindert werden. Doch an eine geordnete Sejm-Sitzung war nicht mehr zu denken. Die Abgeordneten hingen an den Fenstern oder liefen raus auf die Straße, um zu sehen, was sie nun wieder angerichtet hatten. Ein kleiner Junge stand dort breitbeinig in blauen Shorts und grinste herausfordernd: „Nackt nach Europa“ leuchtete es knallrot von seiner winterweißen Brust. Um ihn herum tanzten Models im neuesten „Lumpenlook“. Ein exzentrischer und für seine Eleganz bekannter Politiker sagte immer wieder ins Mikrofon: „Ich kaufe meine Klamotten im Trödel.“

Auslöser für die zahlreichen „Lumpen-Happenings“ in Warschau und anderen polnischen Großstädten ist das neue Abfallgesetz, das am 1. Juli in Kraft treten soll und die Einfuhr unsortierter Gebrauchtkleidung verbietet. „Bis Februar haben wir ruhig geschlafen“, erklärt Ewa Metelska-Swiat, die Vorsitzende der Landeswirtschaftskammer für Textilrohstoffe zur Wiederverwertung. „Wir wussten, dass das Umweltministerium ein neues Abfallgesetz vorbereitet, haben sogar Punkt 5 über die nichtsortierten Textilien gesehen, waren aber überzeugt, dass das Wort Abfall in diesem Gesetz das Gleiche bedeutet wie in der EU.“

Erst im Februar wurde klar, dass es sich um ein Importverbot für Altkleider handelte. Angeblich bleibe die polnische Textilindustrie auf ihren Mänteln, Hosen und Blusen sitzen, weil sich schätzungsweise mittlerweile rund 25 Prozent der Polen bei den „Lumpeksy“, den im Alltag kokett-ironisch genannten „Lumpenhändlern“, einkleiden.

Artur Gacek vom Polnischen Verband der Textilindustrie hingegen freut sich über den künftigen Wegfall der Billigkonkurrenz: „Jährlich werden rund 60.000 Tonnen Gebrauchtkleidung nach Polen eingeführt.“ Das entspreche etwa „30 Millionen Anzügen oder 120 Millionen Pullovern“. In der Branche drohten weitere Entlassungen, wenn die Polen nicht endlich wieder Markenartikel aus polnischer Produktion kaufen würden.

Doch auch die Trödler haben sich inzwischen im „Komitee zur Verteidigung der Secondhandläden“ organisiert und können Zahlen vorlegen: allein im letzten Jahr habe der Altkleiderhandel dem Staat 18,5 Millionen Euro an Zoll und Steuern eingebracht. Über 120.000 Menschen lebten vom Verkauf und der Weiterverarbeitung der Gebrauchttextilien. Dass der Protest aber einen fröhlich-bunten Happening-Charakter annehmen könnte, hatte kaum jemand erwartet. Selbst bekannte Schauspielerinnen bekennen sich offen zur Designer-Klamotte, die sie bei ihren modischen Jagdzügen durch die „Lumpeksy“ erbeutet hätten. In Polen ist es plötzlich schick, „Klamotte“ zu tragen – möglichst im Stil der 70er-Jahre.

Von diesem „Lumpenkult“ profitieren aber auch jene, die sich bei einem Einkommen von 200 Euro im Monat keine neue Kleidung leisten können. Sie kaufen meist in Läden ein, wo an den Grabbeltischen ein Kilopreis steht. Die 19-jährige Ola lacht fröhlich und schwenkt einen Plastikbeutel. Sie hat gerade ein Kilo Jeans für ihre zweijährige Tochter gekauft – für 4 Zloty (knapp 1 Euro): „Eine neue Jeans für die Kleine wäre doch viel zu teuer.“ GABRIELE LESSER