60 Tonnen im Griff

Straßenbahn fahren lernen heißt, bremsen lernen: Mit Kurbel, Schienenbremse und Sand / Rückwärts einparken gibt es auch / Außerdem heißt es, Stromkreisläufe und Weichen pauken

Es ruckt, dann rattert es, dann setzt sich die Straßenbahn, Modell sechziger Jahre, bedächtig in Bewegung.

Hussein El-Zoobis linke Hand liegt entspannt links neben ihm auf der Kurbel mit dem Holzknopf. Mit diesem schlichten Gerät hat er sein Fahrzeug im Griff. „Eigentlich ist das Fahren ganz einfach“, sagt er. Wenn der junge Mann die Kurbel nach rechts auf „Fa.“ dreht, wird sein Gefährt schneller. „Fa.“ auf der Skala steht für Fahren. Nach links gedreht, auf „0“, gleitet der Schienenwagen einfach „stromlos“ weiter. Als die Domsheide in Sicht kommt, leitet El-Zoobi eine Art „Umkehrschub“ ein. Er dreht die Kurbel weiter nach links auf „Br.“ wie Bremsen. Dann anziehen, bis an den Anschlag, ein Ruck, die Bahn steht. „In den alten Kurbelfahrzeugen muss man noch alles von Hand machen“, sagt Fahrlehrer Herbert Feldmann. „Mit der Schienenbremse arbeiten und wenn es glitschig oder eisig ist, Sand vor die Räder auf die Gleise streuen“, erklärt er. „Immerhin wiegt so ein vollbesetzter Zug runde 60 Tonnen. Die muss man im Griff behalten. Und Stahl auf Stahl, das sind keine idealen Bedingungen“, ergänzt er. Mit El-Zoobi im Fahrschulwagen sitzen Anja Steinborn und Gabi Tönjes, die mit ihm zu Tramfahrern ausgebildet werden.

Herbert Feldmanns Platz ist direkt hinter dem FahrerInnensitz. Von dort aus kann er seinen Schützlingen bei ihren Fahrübungen über die Schulter gucken, zur Not in die Kurbel greifen oder per Knopfdruck bremsen, wenn es sein muss. Morgen haben die drei ihre erste Prüfung. Dafür müssen sie nicht nur ihren Wagen in Bewegung setzen und bremsen können, sondern auch Streckenpläne auswendig kennen. Und, wichtig, glatt über die Weichen kommen. „Da dürfen wir höchstens mit 15 Kilometer pro Stunde drüber“, betont Feldmann.

Die FahrerInnen stellen alle Weichen auf den Bremer Linien „vom Bock aus“, das heißt selbst. Wichtig ist auch das Anhalten. StraßenbahnfahrerInnen, die ihren sehr langen Bremsweg vor allem durch vorausschauendes Fahren kalkulieren, müssen zwischendurch trotzdem direkt vor sich auf die Gleise gucken: Steht die Weiche richtig herum? Liegt kein Stein dazwischen? Denn wenn die Weiche nicht richtig schließt, kann die Bahn aus dem Gleis springen. Das kann gefährlich sein und bedeutet Chaos: Stundenlange Unterbrechungen, bis der Wagen wieder ins Gleis gehoben ist, und Umwege für die anderen Bahnen. Also ist die Devise: „Holzauge sei wachsam!“ Wenn El-Zoobi, Steinborn und Tönjes morgen ihre Prüfung bestehen, dürfen sie in Bremen Straßenbahnen fahren, allerdings noch ohne Fahrgäste. Das kommt im nächsten Ausbildungsteil, wo sie sogar Deeskalation und die Bedienung der modernen Niederflurbahnen mit vollautomatischer Bremselektronik lernen.

Was für die drei am schwierigsten in der Ausbildung ist? „Die Notbremsung! Weil die nicht immer klappt, wie sie soll“, sagt Anja Steinborn. Außerdem ist die Technik schwierig. „Die ganzen Stromkreisläufe hier, dass wir mit 650 Volt fahren und so.“ Strecken auswendig zu kennen oder der Kundendienst fallen Steinborn nicht schwer, so wie El-Zoobi auch: Beide sind gelernte BusfahrerInnen. Ulrike Bendrat