big in japan
: FRANK KETTERER über japanische Höflichkeit

Westliche Klagelieder

Hier in Japan gibt es während der WM für Zugreisende, und während so einer Fußball-WM verbringt man eine Menge Zeit im Zug, eine praktische Einrichtung, einen Rail-Pass nämlich, ganz ähnlich der heimischen Bahncard, mit dem Unterschied, dass man beim japanischen Rail-Pass einmal zahlt und dafür alle Fahrten sogar ganz frei hat. Zwar ist der japanische Rail-Pass wie alles im Lande Nippon etwas teurer – fünf Tage kosten 20.000 Yen, was in etwa 200 Euro entspricht – dafür darf man aber sogar im Shinkansen, dem hypermodernen Schnellzug, mitfahren. Und ganz gratis gibt es dabei die Rauchvergiftung, die man jedesmal von dannen trägt, weil man im Shinkansen meist mit japanischen Geschäftsleuten oder Jugendlichen unterwegs ist, die allesamt Zigaretten qualmen wie die Schlote und die Abteilluft in Nullkommanix mit einem undurchdringbaren Nikotinnebelschleier voll pumpen. Nichtraucherabteile gibt es in Japan übrigens nicht, was auch nicht nötig ist, weil ohnehin jeder Japaner zu rauchen scheint.

Doch das ist heute nicht die Geschichte, sondern deren Thema ist, wie man an den Rail-Pass für all die japanischen Raucherzüge überhaupt rankommt. Denn an den Fahrkartenschaltern der Bahnhöfe wissen sie von dem Pass zunächst einmal überhaupt nichts. Deshalb schicken sie den ahnungslosen WM-Reisenden vorsichtshalber mal zur Nippon Travel Agency, jener Bahnagentur, die den WM-Rail-Pass nicht nur erfunden hat, sondern ihn angeblich auch verkauft. Die liegt dummerweise ein ganz Stück vom Bahnhof entfernt – und hat an diesem Tag erst ab 13 Uhr geöffnet, was für einen WM-Reporter deutlich zu spät ist, weil um 15.30 Uhr ja schon das Spiel beginnt – knapp 300 Kilometer entfernt. Also zurück zum Bahnhof, nochmal nachgefragt, ein anderes Agenturbüro genannt bekommen, das geschickterweise drei Bahnstationen weiter liegt, dafür aber schon morgens um 9 öffnet, wie versichert wird, dorthin gehastet, eine geschlagene Dreiviertelstunde warten müssen, weil das Büro doch erst um 10 die Pforten öffnet, und schließlich lächelnd mitgeteilt bekommen: Sorry, Sir, den Pass gibt es bei uns nicht. Den gibt es nur im Hauptbüro. Das wiederum liegt fünf Häuserschluchten weiter, und als man es erreicht, ist der Vormittag auch fast schon um, bis einem dort der Pass endlich ausgestellt und in die Hand gedrückt wird, ist er ganz Vergangenheit und man hat alles in allem geschlagene dreidreiviertel Stunden damit zugebracht, sich diesen Rail-Pass zu besorgen – und noch nicht eine Zeile für die Zeitung über die WM geschrieben.

So oder so ähnlich geht es einem hier übrigens dauernd, auch die Kollegen können davon eine Menge Liedchen singen, die sich aber so was von locker für den Grand Prix Eurovision de la Chanson qualifizieren würden. Was bestimmt nichts damit zu tun hat, dass alle deutschen WM-Reporter hier blind durch die Gegend rennen, sondern es in der Tat unglaublich schwer ist, von einem Japaner auf Anhieb eine korrekte Auskunft zu erhalten. Fragt man beispielsweise nach dem rechten Weg und hebt dem natürlich freundlich lächelnden Menschen dazu eigens einen Lageplan, auf dem der angestrebte Zielpunkt deutlich und in japanischen Schriftzeichen markiert ist, unter die Nase, starrt er ein paar Minuten auf diesen, brabbelt irgendetwas in seinen nicht vorhandenen Bart, schaut sich in der Gegend um, aus der er kommt, starrt wieder auf den Plan, dreht ihn ein paar Mal, brabbelt weiter – und nach gut zehn Minuten hat sich die dunkle Ahnung zur traurigen Gewissheit ausgewachsen: Der Mann oder die Frau wissen auch nicht, wo’s langgeht.

Das alleine wäre ja noch gar nicht so schlimm und kann jedem mal passieren. Jede Menge Zeit aber kostet es, dass der Japaner seine Unwissenheit nicht zugeben möchte bzw. es schlichtweg nicht kann. Einem Fremden nicht helfen zu können, ihm beispielsweise nicht den Weg weisen zu können, gilt im Land des Lächelns als grobe Unhöflichkeit, und das ist so ziemlich das Letzte, was die Menschen hier sein wollen. Da schicken sie einen doch lieber freundlich lächelnd in die falsche Richtung.