Mit Herz und Krone

Monarchistisches aus der Provinz: Jürgen I. ist Herrscher über das schwule Nordostniedersachsen und gibt sich am Wochenende in Hamburg die Ehre

„Inzwischen ist es nicht unbedingt schwieriger, in der Provinz schwul zu sein als in Hamburg“

von PETER AHRENS

Manchmal müssen sich Leo, Wolfgang und Jürgen schon den Spruch anhören: „Da kommt ja die Jenny Elvers.“ Was an Majestätsbeleidigung grenzt. Denn Frau Elvers hat als Heidequeen längst abgedankt, und zumindest Jürgen mit dem gutbürgerlichen Nachnamen Kramer trägt die Königswürde noch mit sich. Mögen die anderen ihren Schützenkönig küren, Jürgen Kramer ist Jürgen der I., der schwule Heidekönig Lüneburgs – werter Nachfolger von Leo I. und Wolfgang I. Nicht nur Hamburg hat einen Christopher Street Day. Auch in der schwulen Provinz wird gefeiert. In Kiel am vergangenen Wochenende, in Lübeck am 13. Juli, in Lüneburg eine Woche später am 20. Juli.

„Wir wollen zeigen, dass es auf dem Land auch Schwule gibt“, sagt Jürgen Wiebking, Regionalkoordinator des Vereins „hin und wech. Schwule lieben in Niedersachsen“. Schwule, Lesben, Transsexuelle, Bisexuelle: Sie gehen auch jenseits der Großstadtgrenzen an die Öffentlichkeit, die Wahl des schwulen Heidekönigs, seit zwei Jahren guter Brauch in Lüneburg, gehört dazu. Das Auswahlverfahren unter den sechs Kandidaten, die sich um das hohe Amt bewarben, war extrem hart. Neben einer Rede an das Volk mussten die Bewerber auch das Lied von der Biene Maja live auf der Bühne singen.

Mit der denkbar knappsten Mehrheit von einer Stimme wurde Jürgen Kramer zum Herrscher über das schwule Nordostniedersachsen gekürt. Mit Krone, Schärpe und Zepter wird Jürgen I. demnach am Sonnabend bei der CSD-Parade in Hamburg Hof halten, begleitet von seinem Adjutanten Florian Krause, ein Amt, das Jürgen Wiebking im Vorjahr inne hatte.

Repräsentieren, für die schwul-lesbische Sache werben, dafür hat „hin und wech“ angeschoben, dass sich die nordniedersächsische Community ihren Regenten erwählt: „Je selbstbewusster wir auftreten, desto weniger Angriffsfläche haben wir“, sagt Wiebking. Der weiß, wovon er redet. Er lebt in einem 1000-Seelen-Dorf im Wendland, und am Anfang haben ihm ein paar Dorfbewohner noch nahe gelegt, er solle sich doch operieren lassen, um wieder „normal“ zu werden. Mittlerweile ist sein Schwul-sein allgemein akzeptiert. „Inzwischen, würde ich sagen, ist es nicht unbedingt schwieriger, in der Provinz schwul zu sein als in Hamburg“, schätzt Wiebking.

Die Grenze verläuft beim Thema Aids. „Darüber wird nicht viel gesprochen“, hat Wiebking festgestellt. Aids werde noch immer als Tabu gehandelt, „hier muss bei uns noch verdammt viel getan werden“. Was gar nicht so einfach ist. Denn das Geld, das als Förderung vom Land Niedersachsen kommt, wird von Jahr zu Jahr nicht mehr: „Meist bekommen wir von den Behörden den Rat, wir sollen doch erst einmal selbst Geld sammeln gehen.“

Genug Mittel für eine eigene CSD-Parade in diesem Jahr ist jedenfalls noch zusammengekommen. Am 20. Juli ziehen sie durch die Stadt, abends wird im Kulturzentrum Vamos gefeiert. Große Schwierigkeiten von Seiten der Stadtverwaltung gebe es, so Wiebking, bisher nicht: „Mir ist nicht bekannt, dass uns Steine in den Weg gelegt worden sind.“

Inzwischen nehmen an der Wahl des Heidekönigs auch Bewerber aus Stade und anderen niedersächsischen Gemeinden teil. Das schwullesbische Chortreffen im wendländischen Salderatzen im Mai ist derweil bereits ein fixer Termin im Jahreskalender geworden, die CSD-Parade in Braunschweig ebenso. Selbst zum Auftritt im offiziellen Karneval in Braunschweig hatte es Leo I. im Vorjahr gebracht, wie von der dort heimischen Presse notiert wurde. Es regt sich Leben in der schwullesbischen Provinz.