Am Ende der Welt und darüber hinaus

Ab heute findet in Frankfurt (Oder) und Słubice zum zweiten Mal das Grenzfestival „Pogranicze“ statt

Als vor einiger Zeit in der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza eine Glosse über das auf Gegenseitigkeit beruhende Desinteresse der Stadtverwaltungen von Frankfurt (Oder) und Słubice aneinander erschien, ereignete sich selbst für grenzländische Verhältnisse Ungewöhnliches. Kurzerhand ließ der Słubicer Bürgermeister alle Ausgaben der überregionalen Zeitung aufkaufen, eine Übersetzung des Artikels anfertigen und diese an die Kollegen auf die andere Seite der Oder faxen. Die Übersetzung zum Zwecke der Kenntnisgebung solcher Nestbeschmutzung war übrigens nötig, weil der für grenzüberschreitende Zusammenarbeit Verantwortliche auf Frankfurter Seite kein Polnisch spricht. Der Titel des Artikels: Koniec Świata – das Ende der Welt.

Am Ende der Welt könnte man sich in der Doppelstadt tatsächlich fühlen, wenn auf dem Frankfurter Oderufer nicht ein großes Schild angebracht wäre. Pogranicze steht darauf, was so viel wie Grenzland oder auch Grenzländer heißt. Eine genaue Übersetzung entzieht sich dem Definitionsbedürfnis des Deutschen, schließlich meint Pogranicze eher fließende Übergänge denn klare Grenzziehungen. Ganz entsprechend sieht auch das Programm des Pogranicze-Festivals „Fluss statt Grenze“ aus, das von heute bis zum 16. Juni stattfindet. Kernstück ist die Ausstellung „Szczecin – ulica miasto“ (Stettin – Straße, Stadt), die am 7. Juni in der Frankfurter Friedenskirche eröffnet wird. Anhand der Geschichte eines Straßenzuges sollen hier vor allem historische Grenzziehungen und deren Überwindung in der deutschen, polnischen und bald vielleicht europäischen Stadt in den Vordergrund gestellt werden. Eine Ausstellung über Stettin in Frankfurt und Słubice unterstreicht zugleich den Versuch der Macher von Pogranicze, nicht die Grenze und damit die Enden der beiden Welten, sondern den Fluss in den Mittelpunkt zu stellen, der quer zu den Grenzziehungen verläuft. „Eine Grenze“, heißt es im Programm, „ist Stau, ist Hemmnis, ist Stagnation. Ein Strom ist Bewegung, ist Fluss, ist Progression.“

Die Idee für ein Grenzlandfest wurde vor zwei Jahren von Studenten der Europauniversität Viadrina geboren. Anlässlich des Polen-Schwerpunkts auf der Frankfurter Buchmesse sollte auch im an der Oder liegenden Frankfurt die Aufmerksamkeit auf polnische Literatur gelegt werden. Herausgekommen ist neben einem überraschend erfolgreichen Veranstaltungsprogramm auch die Website www.literaria.org, auf der vor allem zeitgenössische polnische Schriftsteller vorgestellt werden.

Im vergangenen Jahr schließlich fand zum ersten Mal „Pogranicze – Grenze ist mehr“ statt, ein Festival, auf dem schon damals nicht die eigene Grenzregion im Vordergrund stand, sondern mit der Region Podlasien das polnisch-weißrussische Grenzgebiet. Und wie im vorigen Jahr wird der Schwerpunkt auch diesmal von vielen Veranstaltungen begleitet (siehe Kasten).

Doch auch die Stadtverwaltungen bleiben sich treu. Auf den Homepages von Frankfurt und Słubice findet man keinen Hinweis auf Progranicze. Am Ende der Welt ist eben auch die Wahrnehmung zu Ende. UWE RADA