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Ausnahmslos gefeierte Produktionen, eine Besucherauslastung bei 90 Prozent, ein Projekt, das als Vorzeigemodell funktionierenden zeitgenössischen Musikertheaters gilt: Trotzdem droht der Zeitgenössischen Oper Berlin das Aus

„In Berlin wird ohnehin sehr wenig über Inhalte diskutiert“, stellt Sabrina Hölzer ernüchtert fest. „Wir haben die Diskussion um die Zukunft der Oper zunächst nur um einen konstruktiven Vorschlag bereichern wollen mit dem Fernziel eines neuen Hauses, das den Anforderungen modernen Musiktheaters genügt.“ Sabrina Hölzer ist Szenische Leiterin der Zeitgenössischen Oper Berlin (ZOB), einem privat initiierten Opernprojekt, dass sich seit nunmehr fünf Jahren dem Musiktheater nach 1945 widmet. 2001 ging die ZOB in die Offensive, als sie den architektonischen Entwurf eines Opernhauses für Berlin vorlegte, einem Opernhaus mit beweglichem Saal und ohne festgelegte Blickrichtung.

„Junge Komponisten“, erklärt Sabrina Hölzer, „beklagen immer wieder, dass die Musik sich weiterentwickelt habe, die Bühnenarchitektur aber im 19. Jahrhundert stehen geblieben sei.“ Man habe ja auch nicht eines der Berliner Opernhäuser ersetzen wollen, sondern trage Sorge, dass die Gattung sich weiterentwickle. Auch die ZOB weiß, dass ein neues Opernhaus im Moment völlig unrealistisch ist. Aber vor dem Hintergrund der Berliner Haushaltslage und der schwelenden Diskussion über die Existenzberechtigung dreier Opernhäuser wurde dieser Vorschlag von vielen durchaus als Ohrfeige empfunden.

Nun ist Zurückhaltung Sache der ZOB nie gewesen. Im Gegenteil, bisweilen musste man befürchten, dass die Musik in den Dienst einer Marketingmaschine gerät, die unreflektiert mit politisch fragwürdigen Begriffen wie „Flexibilität“ und „Globalisierung“ operiert und sich damit brüstet, „unabhängig von lähmenden Tarifbestimmungen“ zu sein und „nur hoch motivierte Leute, die statt auf die Uhr lieber in die Noten oder auf die Bühne gucken“ zu beschäftigen. Die reißerische Pose ging bislang auf; kein anderes Off-Projekt wurde in den vergangenen Jahren so häufig von den Medien als Modell zitiert. Und auch der peinliche BWL-Jargon zeigte Wirkung; denn dank finanzieller Zuwendung aus der Wirtschaft musste die schlank geführte ZOB über echte Geldnot nicht klagen.

Und trotzdem droht der Zeitgenössischen Oper Berlin jetzt das Aus. Letzte Woche kündigte der Senat an, in Aussicht gestellte 500.000 Euro, die Hälfte des Etats der ZOB für das kommende Kalenderjahr, zu streichen. Der zuständige Unterausschuss Theater hat sich noch am Montag in dieser Angelegenheit vertagt.

Mit ihrem breit gefächerten Repertoire leistet die ZOB einen Beitrag zum Berliner Musikleben, der derzeit von niemand anderem erfüllt wird: von avantgardistisch-experimentellen Arbeiten wie Morton Feldmans Beckett-Oper „Neither“ oder traditionell gearbeiteten Werken von Aribert Reimann oder Hans Werner Henze. Bei der künstlerischen Arbeit achten Dirigent Rüdiger Bohn und Regisseurin Sabrina Hölzer darauf, die Werke nicht mit eigenen Vorstellungen zu übertünchen, sondern das „Werk zugänglich zu gestalten“ (Hölzer) und „die Wurzel der Stücke freizulegen“ (Bohn).

Für die ZOB spricht überdies ihr Erfolg. Die Produktionen wurden ausnahmslos gefeiert. Die Besucherauslastung lag bei fast 90 Prozent. Das Projekt hat mit Rang und Ruf die städtischen Grenzen nicht nur längst hinter sich gelassen, sondern wurde als Vorzeigemodell funktionierenden zeitgenössischen Musikertheaters gehandelt.

Nun arbeitet die Zeitgenössische Oper seiner schlanken Betriebsstruktur zum Trotz allerdings relativ teuer: jährlich zwei Produktionen à vier Vorstellungen für ca. 300.000 Euro. Man agiert eben auf hohem künstlerischem Niveau und möchte sich an Produktionen von internationalem Rang messen lassen. Mit der ZOB fördert man keineswegs subkulturelle Spartenkultur, sondern eine Institution, deren Aufgabe eigentlich die drei städtischen Opernbetriebe leisten sollten. Ließen sich, so könnte die Argumentation des Senats lauten, die drei städtischen Opernhäuser auf zeitgenössisches Repertoire verpflichten, wäre die ZOB getrost zu schließen. Nur haben die städtischen Opern diesen Auftrag bislang schlicht ignoriert: ein schwacher Nono an der Deutschen Oper in dieser, Ligetis „Grande macabre“ an der Komischen Oper für die kommende Spielzeit, das war’s. Diese Produktionen werden außerdem vor leeren Rängen gespielt. Es gibt kaum eine Stadt mit einem so großen Neue-Musik-Publikum wie Berlin; die behäbigen, konservativ ausgerichteten Häuser verstehen dieses Publikum einfach nicht zu mobilisieren.

Derzeit ist im Hebbel Theater die elfte Produktion der Zeitgenössischen Oper Berlin zu sehen: Frank Martins „Le vin herbé“, ein szenisches Tristan-Oratorium in Kammerbesetzung, mit Streichern, Klavier und zwölf Sängern, die beides sind: Chormitglieder und Solisten. „Le vin herbé“ entstand zwischen 1938 und 1941. Mit seinem seltsamen Geflecht aus Zwölftonmusik und Kirchentonarten markiert es den Anfang des von der ZOB erkorenen Repertoires. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht gleichzeitig das Ende der Zeitgenössischen Oper Berlin markiert. BJÖRN GOTTSTEIN

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