big in japan
: FRANK KETTERER über japanische Ausgelassenheit

Ramba-Zamba im Shinkansen

Wenn man sich hier in Japan auf die Suche begibt nach der Fußball-Weltmeisterschaft, außerhalb der Stadien versteht sich, nach ihrem Geist sozusagen, wird man doch arg enttäuscht. Er ist so gut wie nicht existent, oder wenn es ihn gibt, dann muss es doch ein sehr unsichtbarer Geist sein und auf jeden Fall kein japanischer. Wobei sie in den Städten natürlich ein paar Fähnchen mit dem World-Cup-Enblem aufgehängt haben und manchmal sogar ein paar Poster, schon der Sponsoren wegen. Und natürlich laufen auch im japanischen Fernsehen die Spiele sowie das ein oder andere Werbefilmchen mit Fußballern, vorwiegend mit den Nochweltmeistern aus Frankreich, aber eine Stimmung, wie man sie bei einem solchen Welt-Fußballfest erwartet hat, ist bisher noch nicht ausgebrochen.

Vielleicht passt es ja auch einfach nicht zur vornehmen Zurückhaltung der Japaner, sich vor lauter Fußball-WM ein Loch in den Bauch zu freuen und das dann auch noch öffentlich zu zeigen. Stille Freude soll ohnehin die schönste Freude sein – und für die Stimmung können ja die anderen sorgen, zum Beispiel die Fans aus Mexio, die man zu ihrem Spiel nach Niigata begeitet hat. Da war richtig Ramba-Zamba im Shinkansen, aber so was von Fiesta Mexikana, mit Trompetengebläse, Tanz und Gesinge und jeder Menge Bier, das die arme Servicekraft im Zug gleich palettenweise anschleppen musste. Japaner, wie man sie hier bisher kennen gelernt hat, würden so etwas nie im Leben tun. Und selbst wenn sie ins Stadion gehen zum Fußballkucken, applaudieren sie bei gefälligen Aktionen eher höflich zurückhaltend denn ausgelassen frenetisch, zumindest wenn sich die anderen Teams gegenüberstehen.

Wenn die eigene Mannschaft spielt, können die Menschen hier im Stadion hingegen schon auch mächtig in Wallung geraten, beim ersten Gruppenspiel der „Blue army“ hat man das wunderbar gesehen. Schon vor dem Anpfiff sind vier Düsenjets ganz knapp über das Stadion von Saitama hinweggedonnert – und das Getöse und Gekreische in der Arena während des Spiels brachten es bestimmt nicht auf viel weniger Dezibel. Kurzum: Es herrschte richtig große Fußballstimmung in der Schüssel, und dass Robert Waseige, der Trainer von Japans Auftaktgegner Belgien, anschließend bekannt gab, noch nie ein solch tolles Publikum erlebt zu haben, will schon etwas heißen, schließlich ist Waseige 62 und hat bestimmt schon einiges erlebt.

Doch selbst in seiner Ausgelassenheit bleibt der Japaner, auch das wurde am Dienstag deutlich, kontrolliert, was gleich nach dem Schlusspfiff der Partie zu beobachten war: Zwar wurde die leidenschaftlich kämpfende Mannschaft durchaus noch kurz mit ein paar Nippon-Nippon-Chorälen hochgefeiert, damit aber war es dann doch bald gut, schließlich das Spiel vorbei und damit auch der ursächliche Grund des ganzen bunten Fußballtheaters. Keine Viertelstunde später sah man die japanischen Fans für die U-Bahn anstehen, sie taten es in Zweierreihen, brav und diszipliniert wie immer. Gerade so, als führen sie von der Arbeit nach Hause – und nicht etwa von einem aufwühlenden Fußballspiel.