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Die Akrobatik des Pinselschwingens

Wäre Jackson Pollock Schriftsteller oder Musiker, ein Biopic hätte den Ehrgeiz, sich an aktuellen Diskursen um die Figur zu beteiligen. Doch „Pollock“, Ed Harris‘ Verfilmung der Künstlervita, etabliert als letzte Instanz die Wahrheit des Genies

von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Bei keinem anderen kulturellen Bereich ist die Hollywood-Repräsentation so weit hinter dem internen Selbstverständnis der Szene zurück wie bei der Bildenden Kunst. Hollywood wollte Warhol nicht, Hollywood hat sich bis heute geweigert, einen Film zu drehen, der Bildende Kunst nicht als Geschichte von strahlenden Maestri oder geschundenen Genies erzählt. Dabei würde es völlig reichen, wenn es den Blick auf sich selbst richtete und die Geschichte einer Episode der Bildenen Kunst so erzählte, wie man sich die Geschichte des Entstehens von Filmen erzählt: als arbeitsteilige, umkämpfte, kollektive Herstellung eines kulturindustriellen oder -manufakturellen Produktes.

„Pollock“ von Ed Harris erzählt nicht nur die Lebensgeschichte eines bekannten und gerade in letzter Zeit viel ausgestellten und sehr lebendig diskutierten Künstlers (eine große Show ging von New York über London bis nach Düsseldorf). Man denke nur an die vielen neueren Deutungen von Timothy J. Clark oder Michael Leja. Wäre Pollock ein Schriftsteller, Dramatiker oder Musiker, hätte das Biopic den Ehrgeiz, zu solchen Deutungen etwas hinzuzufügen, in den Diskurs einzutreten. Selbst Spielberg lässt sich ja gelegentlich von denselben geisteswissenschaftlichen Autoritäten beraten wie Okwui Enwezor (etwa von Anthony Appiah). Aber „Pollock“ basiert auf einem Buch, das, seinem Titel zufolge, eine „amerikanische Saga“ erzählen wollte. Den Gegenstand von Sagas diskutiert man nicht mit Geisteswissenschaftlern, sondern mit den Bewohnern von Walhalla.

So hat der Film von Anfang an die Schwierigkeit, nicht genau zu wissen, ob er sich an Kenner wendet, an Interessierte, die schon mal ein Bild von Pollock gesehen haben, oder an zufällige Kinobesucher. Meistens verlässt er sich schon darauf, dass man weiß, wer Peggy Guggenheim war und wer Arshile Gorky oder Thomas Hart Benton. Aber dann wäre es nicht nötig gewesen, viele andere Zeitzeugen und -genossen wie Sammelbildchen einmal kurz aufzublättern, zu benennen und wirkungslos wieder verschwinden zu lassen, als müsse man sich einer Erwähnungspflicht beugen wie bei einem Referat in der Oberstufe.

Seine Stärke entwickelt „Pollock“ in der Erzählung der Jahre bis zum Durchbruch, zwischen der Ehe mit der als Figur ausgesprochen feinfühlig entwickelten Künstlerfreundin und Gattin Lee Krasner und dem schon zu Beginn ziemlich verheerenden Alkoholismus des wortkargen Künstlers. Krasner wird bald zur Heldin der Geschichte. Sie duldet die Demütigung, dass eine Peggy Guggenheim bei der Besichtigung der Künstlerwohnung, nachdem sie aus Versehen in ihr Atelierzimmer getapert ist, ungehalten schnaubt: „Wer ist LK, ich bin nicht gekommen, um Bilder von LK zu sehen!“ Sie bekämpft seinen Alkoholismus, zeitweilig nicht ohne Erfolg, verlegt den Wohnsitz vom Greenwich Village mit seiner gefährlichen Tavernendichte nach Long Island und fällt die Entscheidungen für beide: Es ist anstrengend und erfüllend genug, ihm, dem Genie, zum Ruhm zu verhelfen. Alles andere, Kinder, ihre Karriere, ist nicht zu schaffen.

Ob Krasner die Entscheidung, auf die eigene Karriere zu verzichten, tatsächlich so unumwunden getroffen hat, wie es hier geschildert und ein bisschen frauenfeindlich glorifiziert wird, wäre zu diskutieren. Aber sie ist zumindest eine glaubhafte Figur, wie sie ständig die Diskursdefizite ihres etwas langsamen, gehemmten und eigentlich nur im Suff und im Furor artikulationsfähigen Husband ausgleicht. Die andere glücklicherweise gelungene Figur ist die des Kunsttheoretikers und -kritikers Clement Greenberg, der nicht nur die Kunst Pollocks theoretisch abgesichert, sondern darin auch das Musterbeispiel für seine eigenen antiillusionistischen Dogmen des High Modernism gefunden hat. Im Film werden sie nicht ganz falsch auf den Satz gebracht: „Farbe ist Farbe, Leinwand ist Leinwand, die Surrealisten verwechseln Malerei mit Literatur – das ist Quatsch.“ Krasner kennt all die Theorien, die Pollock wiederum gar nicht interessieren, verpflichtet ihn aber in Gesprächen auf eine Auseinandersetzung. Die mag er verweigern („Dann mal du doch das Scheißbild“), an seiner Arbeit aber geht sie nicht vorüber.

So zeigt „Pollock“ tatsächlich Ansätze, die Jahrhundertfigur „Jack the Dripper“ als eine Koproduktion zu beschreiben: als die Zusammenarbeit eines meist im Trüben fischenden, gelegentlich aber Jahrhundertideen ausbrütenden wirren Wracks, einer hoch intelligenten Künstlerin, die ihre Benachteiligung als Frau kompensiert, indem sie sich einen anderen Künstler ausdenkt, und eines charismatischen Kritikers, dessen kühn schlichte, normative Zuspitzung der modernistischen Malerei auf das Dogma der Materialspezifik die Wirklichkeit eines lebenden Künstlers brauchte. Es gibt in „Pollock“ Ansätze, das Ineinandergreifen dieser Ideen und Pläne mit zeitgeschichtlichen Entwicklungen, mit Kalter-Kriegs-Ideologie und einem neu entstehenden Kunstmarkt in aller Feinheit und Verworrenheit, Tragik und Kontingenz zu entfalten. Doch diesen Ansätzen steht leider die Entscheidung gegenüber, die Wahrheit des Genies als letzte Instanz zu etablieren. Selbst Pressevorführungskritiker lachen gerne, wenn ein besoffener Pollock einen semiintellektuellen Deutungsversuch lallend zum Schweigen bringt: „’s isss doch alles Quatsch.“ „Hochgestochenes“ Gerede über Kunst, da hat sich nichts geändert, bleibt Lieblingszielscheibe eines seit 50 Jahren unveränderten Ressentiments.

Dies bestätigt Harris, wenn er an zentraler Stelle des Filmes immer wieder Pollocks Äußerung rückt, es gebe keinen Zufall in seinen Drippings. Man kann diesen Satz Pollocks verstehen als einen gegenüber Zeitgenossen notwendigen Hinweis darauf, dass es ästhetische und malerische Gründe gibt, mit fliegendem Pinsel und elegant geschütteter Farbe – die performativen Seiten Pollocks hat Harris dank des einschlägigen Hans-Namuth-Dokumentarfilms bestens studiert – so und nicht anders zu verfahren. Dass es eine Handschrift, Komposition, Gestalt auch in den All-overs des Action-Painters gibt. Doch Harris deutet es Genie-metaphysisch bis paranoid als buchstäbliche Kontrolle über jeden Millimeter Dicke oder Dichte jedes einzelnen Farbstreifens – wodoch die Idee des Drippings (und anderer Mittel des Abstrakten Expressionismus) gerade auch darin besteht, die Eigendynamik gezielt einzusetzen.

So rekonstruiert sich Harris einen Künstler, der selbst noch da die Kontrolle hat, wo er nun gerade mit voller Künstlerverantwortung beschlossen hat, ein wenig davon abzugeben. Künstlerische Kompetenz als atemberaubende Akrobatik des Pinselschwungs. Nur so kann Harris sich etwas naiv erklären, dass Pollock das Genie war, das er beschlossen hat zu zeigen. Mit dem suggerierten Kontrollwahn korrespondiert dann der Kontrollverlust in allen anderen Komponenten des Lebens und komplettiert die ewige Tortured-Artist-Legende. Interessanter wäre es sicher, das künstlerische Projekt Pollocks, sofern es überhaupt seines war, mit diesen Kontrollverlusten zu parallelisieren, die Utopie des Suffs in Kongruenz zu bringen mit der reinen antiillusionistischen Moderne Greenbergs und der entstehenden Idelogie von der abstrakten Kunst als der spezifischen Ausdrucksform des „freien Westens“.

Aber das Problem des Biopics ist, dass seine letzte Instanz die Person bleibt, deren Biografie es zu erzählen gilt, nicht das Werk, die Zeit, die Geschichte. Das Drehbuch muss sich daher stark einschränken: Am Schluss muss noch schnell der Schluss erzählt werden. Eilig und lieblos wird nach einem Zeitsprung Ruth Kligmann als neue „Liebe des Lebens“ eingeführt, als „letzte Chance“ des Wracks. Das nie perfekte, aber stets reparable Eheleben mit Lee Krasner ist mit einem Sprung plötzlich terminal zerrüttet. Und dann gab es noch den fatalen Autounfall, und sowas muss ein Film ja auch zeigen. Gerade der verlief aber, anders als andere Szenen, bei denen sich Harris oft detailliert an historischen Bildern orientiert hat, ganz anders, als er hier zu sehen war. Wir erfahren aus dem Nachspann wenigstens noch, dass Lee Krasner später eine ziemlich berühmte Künstlerin geworden ist, aber nichts über Ruth Kligmanns späteres Lebens als Exzentrikerin in SoHo. Außerdem treibt uns das Tom-Waits-mäßige Gegrunze eines versoffenen-Genie-Songs aus dem Kino. Die übel edel-minimalistische Musik hat schon die ganze Zeit, auch während der filmisch gelungeneren Passagen, die unaufgeregt das Zusammenleben und -arbeiten des Künstlerpaars rekonstruierten, genervt.

„Pollock“, Regie: Ed Harris. Mit Ed Harris, Marcia Gay Harden, Jeffrey Tambor u. a. USA 2000, 123 Min.

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