Urlaub bildet

Jeder hat ein Recht auf Bildungsurlaub. Doch kaum jemand nutzt ihn. Und wenn doch, dann für die Firma  ■ Von Sonja Staack

Wie funktioniert die Europäische Union? Welche Rolle spielen multinationale Konzerne in der so genannten Dritten Welt? Woher kommen die Umweltgifte in der Ostsee? Und was tun wir gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt im Einwanderungsland Deutschland? Fragen über Fragen, denen es nachzugehen lohnt – zum Beispiel in einem Bildungsurlaub. Ob Anti-Rassismus-Training oder Unterstützung beim Umgang mit Mobbing, EDV-Kurse oder Seminare zu Frauenbildern in Geschichte und Gegenwart, die Hamburger Weiterbildungseinrichtungen haben für Jede und Jeden etwas im Angebot. Trotzdem nehmen bislang nur wenige ArbeitnehmerInnen ihren Bildungsurlaub in Anspruch.

Mit dem Hamburgischen Bildungsurlaubsgesetz wurde bereits 1974 die rechtliche Grundlage für die Freistellung wissbegieriger ArbeitnehmerInnen gelegt. Jeder Arbeiter oder Angestellte hat danach Anspruch auf zehn Arbeitstage Bildungsurlaub innerhalb von zwei Jahren – das Gehalt wird ganz normal weitergezahlt.

Die Freistellung zum beantragten Zeitpunkt kann nur abgelehnt werden, wenn dem zwingende betriebliche Belange entgegenstehen. Oder wenn Urlaubswünsche von KollegInnen vorliegen, die unter sozialen Gesichtspunkten Vorrang haben, weil sie beispielsweise auf die Schulferien angewiesen sind. Von der beruflichen Weiterbildung über die Qualifizierung für ehrenamtliche Tätigkeiten bis zur politischen Bildung ist alles erlaubt. Einzige Bedingung: Die entsprechende Veranstaltung muss von der Bildungsbehörde anerkannt sein.

Dass 99 Prozent der Angestellten in Deutschland ihren Bildungsurlaub verfallen lassen, führt Klaus Schepe vom Hamburger Amt für Weiterbildung vor allem auf Vorbehalte auf Seiten der Arbeitgeber sowie steigenden sozialen Druck zurück. „Aufgrund von Personalein-sparungen hat der Einzelne schnell das Gefühl, er lasse seine Kollegen mit der Arbeit allein, wenn er Bildungsurlaub nimmt“, so der Amtsrat.

Das Recht auf Bildungsurlaub allein reicht eben nicht – „gerade in unsicheren Zeiten kommt es vielmehr darauf an, dass man sich traut, sein Recht auch in Anspruch zu nehmen“, so Lerke Scholing, Geschäftsführerin des Weiterbildungsträgers „neue Gesellschaft“. Gerade unter jüngeren Arbeitnehmern sei das keineswegs selbstverständlich.

Auch beim Bildungswerk „Arbeit und Leben“ nimmt der Anteil jüngerer Teilnehmer kontinuierlich ab, berichtet Mitarbeiterin Kerstin Schumann. Für junge KollegInnen in der Etablierungsphase sei der steigende Druck am Arbeitsplatz besonders spürbar. In den letzten Jahren habe sie vermehrt gehört, „dass Arbeitgeber bei der Genehmigung Stress machen“. Rund ein Drittel aller Teilnehmer, so Schumann, kämen schon jetzt in ihrem regulären Urlaub zu den Seminaren und verzichteten auf die Freistellung.

Besonders betroffen von der Flaute ist die politische Bildung. Während früher 55 Prozent der angebotenen Bildungsurlaube zum Bereich der politischen Bildung zählten, sind es heute noch gerade mal 30 Prozent, weiß Amtsrat Schepe. Berufliche Weiterbildung sei in den Betrieben in der Regel leichter durchzukriegen, außerdem würden die Arbeitnehmer in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit vor allem versuchen, ihren Arbeitsplatz zu sichern und Aufstiegschancen zu erlangen. Am meisten nachgefragt sich dementsprechend Kurse zu EDV, Fremdsprachen und den sogenannten „Soft Skills“ wie beispielsweise Teamarbeit oder Rhetorik.

Die Sprecherin des Unternehmens Beiersdorf, Manuela Rousseau, führt den Rückgang von Bildungsurlauben hingegen darauf zurück, dass die Unternehmen verstärkt betriebsinterne Weiterbildung anbieten. Politische Bildung kommt dabei freilich nicht vor.

„Die Arbeitgeber verstehen oft nicht, dass auch politische Bildung dem Betrieb zugute kommt,“ kritisiert Schepe. So stärke die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Veränderungen nicht nur das logische Denken, sondern auch Toleranz, Kommunikations- und Kompromissfähigkeit. „Das sind alles Schlüsselqualifikationen – und die Kosten zahlen die Beschäftigten ja sogar selbst“, wirbt Schepe. „Die Betriebe müssten ihre Mitarbeiter nur noch freistellen.“

Das aktuelle Angebot anerkannter Bildungsurlaube gibts unter www.bildungsurlaub-hamburg.de