piwik no script img

Deutsch zu fünft

Sprachförderung in der Kita kann funktionieren, wenn die Kinder in Kleingruppen lernen. Das zeigt ein Modellprojekt in Berlin-Kreuzberg

BERLIN taz ■ Manchmal wird Tina Schenk von ihren Kolleginnen kritisch beäugt. Schließlich sind ihre Arbeitsbedingungen luxuriös im Vergleich zum normalen Erzieherinnenalltag. Eine eigene Gruppe hat Schenk in der städtischen Kindertagesstätte Solmsstraße in Berlin-Kreuzberg nicht, sie arbeitet mit Kleingruppen: Jeden Morgen zwischen 9 und 10 Uhr trifft sie sich mit fünf Vorschulkindern aus der Einrichtung zur Deutschförderung. Ab 10 Uhr sind die Kleineren dran.

Heute darf Mehmet als Erster eine der Karten auswählen, die Schenk gebastelt hat. „Ein Kaninchen“, ruft der Knirps, „auf die gelbe Wand!“ „Richtig, das Kaninchen gehört auf die gelbe Pappe“, lobt Schenk und klebt das Bild auf, „denn das Kaninchen ist ein Das-Wort.“

Seit einem Jahr machen Schenk und ihre drei Kolleginnen Übungen wie diese mit insgesamt 30 Kindern in zwei Kitas und einer Grundschule in Kreuzberg – mit großem Erfolg.

Die Deutschkenntnisse der Kinder, die an dem Modellprojekt des Bezirksamts beteiligt sind, haben sich um bis zu 40 Prozent verbessert, sagt Sprachwissenschaftler Sven Walter, der das Projekt mitentwickelt hat. Durchschnittlich ist die Sprachkompetenz der Kinder um 20 Prozent gestiegen. Bei einem Kitabesuch ohne spezielle Förderung geht der Wissenschaftler von einer Verbesserung um 10 Prozent aus.

Die meisten der Kinder sind türkischer Herkunft, bei fast allen bestand intensiver Förderungsbedarf. Das zeigen die Ergebnisse der Sprachstandsmessung „Bärenstark“, mit deren Hilfe zweimal die Deutschkenntnisse der Kinder erhoben wurden: zu Beginn des Projekts und ein Jahr später, im vergangenen März und April.

„Sprachanregendes Verhalten“ ist der Schlüsselbegriff des Projekts. Das hört sich selbstverständlich an, ist es aber nicht. Sprachwissenschaftler Walter hat beobachtet, dass Erzieherinnen sich der Kindersprache anpassen. Kinder aber brauchen Sprachvorbilder, die sie auch mit komplexen Sätzen vertraut machen. Walters Team hat sich gefragt, welchen Wortschatz ein Kind haben, worüber es sprechen können soll. Daraus wurden Bausteine erarbeitet: der Körper ist einer, Tiere, das Wetter. Jeweils ein Programm für mehrere Wochen.

In der Solmsstraße dreht sich heute alles um den Bauernhof. Die fünf Kinder sitzen im Kreis, schauen auf ein Bilderbuch und antworten auf die Fragen, die Tina Schenk stellt. Manchmal korrigiert sie oder fragt nach. „Warum sitzt die Ente auf den Eiern?“ Mehmet zuckt mit den Schultern. „Sie brütet“, ruft Neglihan. Und als Tina Schenk schon zu den Gänsen umblättern will, erzählt das Mädchen, dass sie am Wochenende mit ihrer Oma Enten füttern war. „Das sind dann so Erfolgsmomente“, sagt Schenk. „Als sie in meine Gruppe kam, konnte sie kein Wort Deutsch.“ SABINE AM ORDE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen